Schwarze Schafe in Venedig
zu und erhöhte dabei beiläufig meine Nikotinzufuhr. »Motiv genug für Graziella, den Koffer zu stehlen, wobei das allerdings noch nicht die Bombe erklärt.«
»Die perfekte Absicherung. Wenn er erst tot ist, wird er nicht mehr auf die Idee kommen, sich sein Geld zurückholen zu wollen. Oder Graziella an die Gurgel zu gehen.«
»Hmm«, sagte ich und betrachtete nachdenklich das glühende Ende meiner Zigarette. Wobei ich mir nicht ganz sicher war, was das »hmm«, bedeuten sollte. Und Victoria anscheinend auch nicht, doch sie war wohl auch nicht zu scharf darauf, ihre Theorie weiter auszuführen. »Unseren übergewichtigen Freund hast du vermutlich auch gesehen.«
»Der Typ, der uns verfolgt hat?« Ja, und uns beim Knutschen zugesehen hat, dachte ich und wand mich innerlich bei dem Gedanken. Unangenehmes Thema. Ich hätte gewettet, Victoria versuchte auch gerade krampfhaft, nicht daran zu denken.
»Der hängt auf jeden Fall mit drin«, sagte sie. »Das kann einfach kein Zufall sein.«
»Keine Frage.«
Sie drückte die Zigarette auf dem Fensterbrett aus. Das Ding war halb geraucht, bestenfalls.
»Wollen wir wieder hochgehen und deinem Dad zusehen, wie er das ganze Geld absahnt?«, schlug ich vor.
»Wenn ich ehrlich bin, würde ich lieber noch ein bisschen hierbleiben, wenn es dir nichts ausmacht.«
»Natürlich nicht«, entgegnete ich. »Ich hab ein Wörtchen mit dem Besitzer geredet. Wir können hierbleiben, solange wir wollen.«
Einunddreißig
Um Viertel vor zwölf gingen wir zurück in den Spielsaal. Dort war es inzwischen noch voller als vorhin. Auch die letzten Nachzügler aus der Roulettelounge hatten ihre Spieltische verlassen, um die Entscheidung nicht zu verpassen, und alle drängelten sich um den Turniertisch. Es dauerte eine Weile, bis wir ein Fleckchen gefunden hatten, von dem wir einen guten Blick auf das Geschehen hatten, und selbst dort schoben sich mir immer wieder Hinterköpfe ins Blickfeld.
Vier Spieler saßen noch am Tisch, doch dem jungen Asiaten mit der Sonnenbrille schienen langsam die Jetons auszugehen. Ich nahm an, er hatte zu hoch gepokert, während wir unten waren, und war damit auf die Nase gefallen. Jetzt konnte er nur noch hoffen, dass seine Gegner alles setzten, um sich den Sieg zu sichern, und damit allesamt baden gingen. Was höchst unwahrscheinlich war, aber es war der letzte Strohhalm, an den er sich noch klammern konnte, und genau das tat er wohl auch.
Ungekrönter Jetonkönig war Victorias Vater, aber es war beinahe zu knapp, um überhaupt sagen zu können, wer in Führung lag. Die cartierbehängte Dame mit dem akkuraten Bob und unser zotteliger extrabreiter Freund waren ihm dicht auf den Fersen, und für Otto-Normal-Beobachter war die ganze Sache sicher äußerst spannend.
Für mich war es allerdings weit mehr als das. Denn während die Turnierteilnehmer noch dieselben waren wie vorhin, war für die entscheidende Phase eine neue Dealerin an den Tisch gekommen. Sie wirkte durch und durch professionell, und ihre geschickten flinken Finger schwirrten wie Vogelflügel über den Filz des Spieltischs. Sie hatte kurz geschnittene, hinter die Ohren gegelte braune Haare, doch ihrer jungenhaften Aufmachung und dem nicht gerade vorteilhaften Smoking, der als Arbeitskleidung vorgeschrieben war, zum Trotz war nicht zu übersehen, was für eine umwerfend schöne Frau sie war. Sie hatte volle, üppige Lippen, wache, funkelnde Augen, und ihr Hals war einfach zum Anbeißen. Ach ja, und zufälligerweise wusste ich, dass sie in ihrer Freizeit gerne ihrem speziellen Hobby frönte, in fremde Häuser einzusteigen.
Großartig.
»Ähm, Vic?«, sagte ich und tippte ihr auf die Schulter.
»Was denn?«
»Ich glaube, dein Dad könnte womöglich in Schwierigkeiten stecken.«
Und damit drückte ich meinen Mund an ihr Ohr und schilderte ihr das Problem. Es dauerte nicht lange, ihr die wichtigsten Fakten zu erklären. Ihre Reaktion ließ nicht auf sich warten.
»Diese Schlampe hat dein Buch geklaut?« Empört zeigte Victoria mit dem Finger auf Graziella, und es schien, als wolle sie schnurstracks durch die Menge zu ihr hinmarschieren und einen handfesten Streit vom Zaun brechen.
»Immer langsam.« Hastig zerrte ich ihre Hand runter und setzte ein Lächeln auf. »Nur ruhig Blut.«
»Ruhig Blut? Sie sitzt gleich da drüben, Charlie.«
»Das habe ich auch schon mitbekommen. Ausnahmsweise sind das wohl ihre echten Haare. Aber sie hat uns noch nicht gesehen, und wenn es nach mir geht,
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