Schwarze Schafe in Venedig
ein hervorragender Kartenspieler. Ein Gehirn wie ein Computer. Ja«, sagte er und wies mit dem Kinn auf mich, »und er war ein großer Krimifan. Mochte Ihre Bücher sehr.«
Was sollte ich darauf erwidern? Alfreds Ton verriet mir, dass die Geschichte womöglich keinen glücklichen Ausgang nehmen würde, weshalb ich ihn bloß neutral anlächelte und darauf wartete, dass er fortfuhr.
»Eunice war auch keine schlechte Spielerin, aber am besten war sie als Aufpasserin. Augen wie ein Adler. In unserem Alter nicht zu unterschätzen.«
»Das glaube ich gern«, sagte ich.
»Fantastisches Paar, die beiden. Ganz reizende Leute.« Er warf einen Blick auf Victoria. »Deine Mutter und ich mochten sie sehr.«
»Ich weiß noch, wie Mum von ihnen erzählt hat.«
»Aber«, sagte er und legte den Kopf ein wenig schief, »John konnte ein richtig sturer alter Esel sein. Von Monte Carlo war er völlig besessen. Es war wie eine verfluchte Obsession. Ich habe natürlich versucht, ihm das auszureden – habe ihn gewarnt, wie engmaschig die Sicherheitsvorkehrungen da sind. Aber er erzählte den anderen unverdrossen, wie großartig es doch wäre, eins der berühmten alten Casinos auszunehmen.« Alfred seufzte. »Deine Mutter und ich wollten natürlich nichts davon hören, aber den einen oder anderen hatte er geködert. Hat einen richtigen Zwergenaufstand angezettelt, ehrlich.«
»Ihr habt euch überworfen?«, fragte Victoria.
»Das nicht. Aber danach war es eine Zeit lang ... etwas schwierig. Irgendwann dachte ich sogar, die ganze Gruppe bricht auseinander. Deine Mutter hat die Gemüter wieder beruhigen können, und danach schien es, als sei das Thema vom Tisch. Dann hörte John, dass während unserer Ferienzeit in Monte Carlo ein großes Black-Jack-Turnier stattfinden sollte. Und er wollte unbedingt teilnehmen.«
»Ist außer ihm sonst noch jemand mitgegangen?«
Das Polster des Sessels war um Alfreds knochige Fingerspitzen herum schon ganz verknittert. Seine Handgelenke zitterten. »Ehrlich gesagt, ich habe es ihnen verboten. Ich habe ihnen gesagt, nur über meine Leiche. Dass ich die Integrität der Gruppe schützen müsse.«
»Tja, klingt doch sehr plausibel«, sagte ich zu ihm.
»Fand ich auch – zumindest damals. Und Eunice konnte meinen Standpunkt durchaus nachvollziehen. Das ist auch der einzige Grund, weshalb ich überhaupt weiß, was passiert ist.«
»Dad, setz dich«, sagte Victoria. »Langsam machst du mir Angst.«
Alfred tat, wie ihm geheißen, und ließ sich in den Sessel fallen, als habe man die Luft aus ihm herausgelassen. Er trank einen Schluck Whisky. Der Alkohol schien zu helfen. Zwar beruhigte er sich nicht, aber als er weiterredete, klang seine Stimme wieder fest und entschlossen.
»Anfangs lief das Turnier wunderbar. John ist kinderleicht von Runde zu Runde weitergekommen, ganz wie erwartet. Aber Eunice, wachsam wie immer, war auf der Hut, und irgendwas machte ihr Bauchschmerzen. Ihr war ein anderer Spieler aufgefallen. Wann immer es möglich war, schaute er John beim Spielen zu, und er hatte eine Begleiterin dabei – eine glamouröse junge Dame, die John nicht aus den Augen ließ, wenn der Kerl selbst zu einem Turnierspiel musste. Eunice machte sich deswegen große Sorgen. Irgendwann rief sie mich an.«
Victoria runzelte die Stirn. »Ich kann ja verstehen, dass sie sich deswegen Gedanken gemacht hat, Dad, aber so schlimm klingt das alles nicht.«
»Anfangs vielleicht nicht.« Alfred hob den Finger. »Aber im Laufe des Turniers kam Eunice zu der Überzeugung, dass der Kerl irgendwie ein zwielichtiger Charakter war. Und einmal war sie sogar fest davon überzeugt, jemand sei in Johns und ihrem Hotelzimmer gewesen. Es fehlte zwar nichts, aber einige ihrer Sachen lagen nicht mehr da, wo sie hingehörten.«
»In welchem Hotel waren sie denn?«, erkundigte ich mich.
»Das Hotel gehörte zum Casino, die Sicherheitsvorkehrungen waren also ausgezeichnet. Eunice meldete den Vorfall, und der Sicherheitschef des Hotels versprach, sich persönlich darum zu kümmern. Danach hörte sie nie wieder was von ihm.«
»Vielleicht hat sie sich das auch alles bloß eingebildet«, meinte Victoria. »Könnte doch sein, dass sie wusste, welche Bedenken und Vorbehalte du bezüglich Monte Carlo hattest, weshalb sie vielleicht etwas empfindlicher war als sonst.«
»Genau das habe ich ihr auch gesagt«, entgegnete Alfred. »Aber ich habe ihr auch geraten, das Pärchen zu fotografieren und mir die Bilder zuzuschicken. Ich habe
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