Schwarze Schafe in Venedig
Erfahrung bringen konntest.«
»Charlie?«, fragte er etwas verwirrt. »Bist du das?«
»Ja, Pierre. Wach auf. Bitte. Du musst mir unbedingt sagen, ob du dich wegen dieser Frau hier in Venedig umgehört hast – der Einbrecherin.«
Auf Französisch murmelte Pierre in seinen nicht vorhandenen Bart. Ich glaube kaum, dass es besonders schmeichelhaft war. Dann hörte ich im Hintergrund eine zweite Stimme. Ein Mann, der von irgendwo aus der Wohnung nach ihm rief.
»Hör zu, tut mir leid, wenn ich dich störe, ich wusste nicht, dass du Besuch hast«, sagte ich zu ihm. »Wir können uns gerne kurzfassen.«
»Ich hab schon geschlafen, ja?«
»Dachte ich mir. Aber diese Frau – wusste einer deiner Kontaktleute was über sie?«
Er machte ein Geräusch wie ein Kind, das einem die Zunge rausstreckt. Dem folgte Papiergeraschel.
»Pierre?«
»Es muss hier irgendwo sein, ja? Bitte. Nur Geduld.«
»Kannst du es mir nicht einfach aus dem Kopf erzählen?«
»Ich hab hier eine Adresse, verstehst du?«
Ich hob die Hand und rieb mir mit dem Handballen ein Auge. Ich fragte mich, wie lange Pierre diese Informationen wohl schon hatte und warum er mich noch nicht angerufen hatte. Doch dann fiel mir ein, dass ich ihn ja auch nicht angerufen hatte. Selbst schuld.
»Hier, ich hab’s gefunden.«
Man hörte, wie ein Zettel von einem Notizblock abgerissen wurde. Ich schaute nach links und nach rechts, dann sah ich einen Block und einen Kuli mit dem aufgedruckten Namen von Alfreds Hotel.
»Schieß los.«
Das tat er umgehend. Ich hatte die Adresse noch nicht ganz aufgeschrieben, da musste ich mich schon zusammenreißen, um mir nicht selbst eine schallende Ohrfeige zu verpassen.
»Schon gut. Die kenne ich«, murmelte ich, während meine Knie unter mir nachgaben.
»Mein Freund sagte, das sei ein alter Buchladen, ja? Der gehört ihrem Onkel. Sie wohnen beide im Haus darüber.«
»Hätte ich mir auch denken können.« Ja, wirklich, das hätte ich mir doch wirklich denken können. Wenn sie über dem Buchladen wohnte, wäre es für sie ein Leichtes gewesen, das Handy im Safe zu deponieren. Das erklärte auch, wieso sie mich beim Einbruch beobachten konnte und wieso sie ganz genau wusste, wann die Polizei anrückte. Und jetzt fiel mir noch was ein. Bei unserem Besuch im Buchladen war der Inhaber mir reichlich nervös vorgekommen. Sollte das wirklich Graziellas Onkel sein und sollte er auch nur den leisesten Verdacht haben, was seine Nichte so alles anstellte, dann war es nicht weiter verwunderlich, dass er so abweisend gewesen war. »Sonst noch was?«
Während ich Pierres Antwort abwartete, streckte ich die Hand nach meinem Mantel aus, den ich aufs Bett geworfen hatte. Dort war auch Victorias schweinsledernes Mäppchen, das ich öffnete, um einen Blick auf den Inhalt zu werfen.
»Mein Kontaktmann meinte nur, sie sei gut, ja?«, sagte Pierre. »Vielleicht sogar die Beste in ganz Venedig. Ich denke gerade, Charlie, vielleicht könntest du ihr meinen Namen und meine Nummer geben? Ihr sagen, sie soll sich mal bei mir melden?«
»Du willst sie doch wohl nicht engagieren?«, fragte ich und stopfte mir das Lippenstift-Pfefferspray in die Tasche. »Himmel, Pierre, die hat mich beklaut. Die Frau ist gemeingefährlich.«
Er gähnte. »Sie ist eine Diebin, nicht? Das sind nicht alles so nette Leute wie du, Charlie.«
»Wem sagst du das?«
»Darf ich jetzt wieder gehen?«
»Ja«, sagte ich und studierte den verbliebenen Inhalt des Spionageköfferchens. »Du kannst jetzt gehen. Und danke, Pierre. Mal sehen, ob ich dir ihre Visitenkarte besorgen kann.«
Schwarzweiß stand Venedig gut zu Gesicht. Zumindest auf den Postkarten, die ich von einem Zeitungskiosk am Campo Santo Stefano mitgenommen und zwecks Inspiration auf meinem Schreibtisch ausgebreitet hatte. Auf den Karten waren pittoreske Szenen verwahrloster Gassen und einsamer Kanäle zu sehen, leere, von verschnörkelten Straßenlaternen beleuchtete Piazzen, magere Streunerkatzen, die um imposante Statuen geflügelter Löwen herumstrichen, und makabre Auslagen unbemalter Carnevale -Masken. In dieser Stadt fand ich mich nun wieder, als ich im Morgengrauen durch die Straßen hastete, mit aufgestelltem Kragen, während meine Schritte mich über das regennasse, glitschige Steinpflaster hetzten, das verborgen lag unter über den Boden kriechenden, sich kräuselnden Nebelbändern.
Die Häuser waren verrammelt, die Geschäfte lagen im Dunkeln, weit und breit war keine Menschenseele zu sehen.
Weitere Kostenlose Bücher