Schwarze Schafe in Venedig
nächtlicher Spaziergang. Wie gerne hätte ich einen kleinen Umweg zur Piazza San Marco gemacht und das Gefühl genossen, den ganzen Platz nur für mich allein zu haben. Und noch schöner wäre es gewesen, mich in dem angenehmen Gedanken wiegen zu können, dieses Erlebnis irgendwann in naher Zukunft einmal wiederholen zu können. Doch das schien nun höchst unwahrscheinlich. Seit über einem Jahr lebte ich nun in dieser Stadt, und noch immer kam es mir vor, als hätte ich kaum hinter die Fassade geschaut. Hier wäre ich gerne länger geblieben, hier hatte ich zum ersten Mal seit langer Zeit das Gefühl, Wurzeln schlagen und mich niederlassen zu können. Doch das konnte ich mir jetzt alles abschminken. Alles futsch, obwohl ich mir solche Mühe gegeben hatte, ein redlicher Mensch zu werden. Irgendwie erschien mir das nicht fair. Gar nichts erschien mir fair. Ich war melancholisch und verbittert. Ich wollte Rache.
Die Calle Fiubera war genauso verlassen wie der Rest der Stadt. Langsam und bedächtig näherte ich mich dem Buchbinderladen und spähte durch die Metalljalousie. Dann schnippte ich die Zigarette weg und griff nach der Jalousie. Sie war verriegelt, und die Tür dahinter war verschlossen. Ich wusste zwar, dass ich mir auf diesem Wege Zugang verschaffen konnte, wusste aber auch aus eigener Erfahrung, wie leicht man mich hier beobachten konnte.
Weshalb ich einen Schritt zurücktrat, den Kopf in den Nacken legte und das Gebäude absuchte. Die Hauswand lehnte schief nach außen und ragte so über mich in den Himmel. Drei Fenster schauten unmittelbar über dem Laden zur Straße hinaus, und von ihnen aus hatte man freie Sicht auf den Fleck, an dem ich stand. Hinter dem rechten Fenster brannte Licht.
Das gefiel mir zwar nicht, aber ich konnte nicht viel daran ändern. Womöglich saß da oben jemand beim Schein dieser Lampe mit einer geladenen Schrotflinte im Schoß und wartete schon auf mich. Oder die Lampe beleuchtete ein leeres Zimmer. Unter anderen Umständen wäre ich sicher umgekehrt und hätte es am nächsten Abend noch mal versucht, in der Hoffnung, dass dann alles dunkel war. Aber diesmal konnte ich mir diesen Luxus nicht leisten. Ich konnte mir keine Verzögerung erlauben. Aber ich konnte es zumindest auf anderem Wege versuchen.
Mein Gedächtnis war nicht annähernd so gut, wie ich es mir gewünscht hätte, und so dauert es ganze zehn Minuten, bis ich den kleinen Durchgang gefunden hatte, der zum Hintereingang des Ladens führte. Und selbst da war ich mir nicht ganz sicher, ob ich überhaupt die richtige Tür erwischt hatte, bis ich meine kleine Stiftlampe anknipste und den Strahl auf den unteren Teil der Tür richtete. Die Feuchtigkeit hatte sie deutlich sichtbar verfärbt. Und ich wusste noch, wie ich fast bis zu den Knöcheln im Wasser gestanden hatte. Volltreffer.
Schnell streifte ich mir ein Paar meiner Spezialanfertigungseinmalhandschuhe über, ging in die Hocke und nahm das Schloss ins Visier. Es war nichts Besonderes, ein Klacks verglichen mit den Sicherheitsvorkehrungen vorne an der Ladentür. Also zog ich die erforderlichen Werkzeuge aus meinem Brillenetui und hatte das Schloss schneller geknackt als ein Eichhörnchen eine Haselnuss. Eigentlich hätte das schon alles sein müssen – Mission erfüllt –, aber ich hatte Schwierigkeiten, die Tür aufzubekommen. Durch die Feuchtigkeit hatte sich das Holz verzogen, und mir fiel wieder ein, wie die Tür beim letzten Mal im Rahmen geklemmt hatte. Einen Knauf gab es nicht, an dem ich hätte ziehen können. Hätte ich einen Schlüssel gehabt, dann hätte ich ihn im Schloss drehen und dann fest daran ziehen können, aber mein Haken war nicht stabil genug dafür.
Eine Weile versuchte ich es mit Ächzen und Grimassenschneiden, doch das zeigte nicht die gewünschte Wirkung. Genauso wenig, wie frustriert gegen die Mauer zu treten. Also kramte ich schließlich noch mal in meinen Werkzeugen herum. In meinem Etui war leider nicht genug Platz für einen Vorschlaghammer, was meiner Erfahrung nach manchmal ein echter Nachteil war. Zum Glück fand ich allerdings einen Schraubenzieher in meinem Arsenal, dessen Klinge so dünn war, dass ich sie in die winzige Lücke oben zwischen Tür und Rahmen klemmen konnte. Dann stemmte ich mich mit Hilfe meiner kaputten Finger mit aller Kraft dagegen, eine Erfahrung, auf die ich gut hätte verzichten können, doch leider fiel mir keine bessere Lösung ein. Also half nur, Zähne zusammenbeißen und den Schmerz wie ein Mann
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