Schwarze Schafe in Venedig
noch ein angekokelter Hochofen war, aus dem Rauch und Flammen schlugen. Die Überreste der Tür hingen in einem grotesken Winkel in ihrem verbogenen Rahmen, und von dem verfluchten Koffer, der an allem schuld war, war nichts mehr zu sehen.
Vorsichtig, sehr vorsichtig stemmte ich den Oberkörper vom Boden hoch, und es war wie ein kleines Wunder, dass meine Arme dranblieben, als ich mich aufrichtete. Langsam tastete ich mich nach eventuellen Verletzungen ab. Ich schien erstaunlich unversehrt geblieben zu sein. Zwar hatte ich Schnitte und Schürfwunden an den Händen und an der Rückseite meiner Beine, und ich war mir ziemlich sicher, einen ordentlichen Schlag gegen den Kopf abbekommen zu haben, aber mal abgesehen von kleineren Problemen beim Atmen und mit den Augen schien ich zumindest noch in einem Stück zu sein.
Wobei es ein paar Sekunden dauerte, bis ich schließlich merkte, dass ich die Nachwehen der Bombenexplosion in vollkommener Stille erlebte. Gerne würde ich hier berichten, dass mir die Ohren klingelten, aber die Wahrheit ist, sie taten nichts dergleichen. Ich hatte nur einen seltsamen Druck auf dem Trommelfell, als wäre ich mit einer teuflischen Grippe auf einer höllischen Flugzeugreise, aber das Einzige, was ich auch nur annähernd hören konnte, waren meine eigenen Gedanken, und leider waren selbst die nicht allzu klar und verständlich.
Viel zu lang lag ich auf meinen aufgeschürften Ellbogen und starrte mit offenem Mund seltsam unbeteiligt auf Zerstörung und Feuer, als sähe ich im Fernsehen einen Film mit abgestelltem Ton. Dann, ganz allmählich, kehrte meine Geistesgegenwart wieder zurück, und mir ging auf, dass ich auf gar keinen Fall hierbleiben konnte. Das Feuer könnte sich weiter ausbreiten, oder ich könnte im Qualm ersticken. Und ich konnte ja wohl kaum darauf warten, bis Feuerwehr und Rettungssanitäter mir zu Hilfe kamen – schließlich hatte ich die Bombe selbst gezündet –, und gut, ich mochte zwar keine Ahnung gehabt haben, dass ich Sprengstoff mit mir herumschleppte, aber ich bezweifelte doch sehr, dass den italienischen Ermittlungsbehörden das als Ausrede reichen würde.
Aber wohin? Ganz sicher nicht zurück durch den Palazzo. Gut möglich, dass die Hausangestellten geflohen waren, aber ebenso gut konnten sie bereits unterwegs sein, um der Ursache des Knalls auf den Grund zu gehen, und ich war nicht in der Verfassung, mich an ihnen vorbei nach draußen zu drängeln oder spontan ein bisschen Verstecken mit ihnen zu spielen. Bald würde es hier von Feuerwehr und Polizei nur so wimmeln, und wenn man sich meine Verletzungen ansah, von Staub und Trümmerteilen mal ganz abgesehen, in denen ich mich gewälzt zu haben schien, würde Guiseppe Columbo sicher nicht lange brauchen, um dahinterzukommen, dass ich womöglich etwas mit der Explosion zu tun haben könnte.
Ich mühte mich auf die Knie, dann schwankte ich eine Weile fröhlich hin und her, bis ich schließlich irgendwie auf die Füße kam. Wie benommen wankend duckte ich mich unter dem übelriechenden Qualm hindurch, der in dichten Schwaden unter der Decke herumwaberte, und taumelte zu der Glastür. Die Tür war verschwunden und mit ihr große Teile des Mauerwerks. Ich stützte mich mit der Hand an dem in die Mauer gerissenen Loch ab und kämpfte mich über einen Berg aus Gips, bis ich ausrutschte und ungelenk auf den Balkon purzelte.
Unter meinen Schuhen splitterte zerbrochenes Glas. Wie in Trance hob ich den Fuß und setzte ihn wieder auf. Kein Geräusch – ich konnte überhaupt nichts hören.
Auf der anderen Seite des Kanals schienen etliche Leute an der beleuchteten vaporetto- Haltestelle durch den Nieselregen auf mich zu zeigen. Eine Frau winkte wild mit beiden Armen und hatte den Mund zu einem lautlosen Schrei aufgerissen.
Ich wischte mir Dreck und Staub von den Lippen und schmeckte die feuchte Luft. Sie pfiff mir durch die Lungen – es war das Köstlichste, was ich je geatmet hatte. Meine Panik ließ ein klein wenig nach, und ich streckte die Hand nach der feuchten Steinbalustrade aus, um mich abzustützen. Beinahe hätte ich sie verfehlt. Die Balustrade war von Rissen durchzogen und seltsam verkrümmt und hing über die Ecke des Balkons, als sei sie im Begriff zu schmelzen. Zu meiner Rechten drehte ein Wassertaxi in voller Fahrt ab, während der Fahrer über die Schulter zurückschaute, um sich zu merken, wo genau ich stand.
Mit wackligen Beinen stierte ich hinunter in den Canal Grande. Die geronnene
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