Schwarze Schafe in Venedig
als das Gefühl dahinter. »Hör zu, wir sind hier für gar nichts verantwortlich. Was passiert, passiert. Ob wir nun hier sind oder nicht.«
»Nicht, wenn wir etwas dagegen tun.«
»Was denn zum Beispiel? Ich wüsste nicht, was wir groß dagegen unternehmen sollten. Ich bin kein ausgebildeter Bodyguard, Vic. Und ich bin in diesem ganzen Szenario nicht gerade ein Unschuldslämmchen, also denk nicht mal im Traum daran, die Polizei zu alarmieren.«
»Warum denn nicht? Charlie, es geht um ein Menschenleben.«
»Die Polizei weiß bereits, dass er in akuter Lebensgefahr schwebt, Vic. Wir haben doch selbst gesehen, wie sie nach dem Bombenanschlag rudelweise durch den Palazzo gelaufen sind und Beweismittel gesammelt haben. Wenn sie keine völligen Nieten sind, steht er sicher längst unter Personenschutz. Und wenn nicht, dann kann ich sicher nichts daran ändern, ganz gleich, was ich auch sage.«
»Aber du könntest sie warnen, dass sie jemand Bestimmten im Auge behalten sollen. Ein anonymer Hinweis mit einer Beschreibung von Graziella.«
»Nur über meine Leiche.«
»Rede nicht von ›Leichen‹«, knurrte sie und äffte meine Gänsefüßchengeste nach. »Das ginge. Das weißt du sehr wohl.« Worauf sie mit einem siegesgewissen Knuspern in ihren Keks biss, als hätte sie gerade ein unwiderlegbares Argument geliefert. Und ich fürchtete fast, das könne sie tatsächlich getan haben.
»Mal angenommen, ich würde wirklich da anrufen«, murmelte ich und stand auf. »Mal angenommen, ich erzähle denen alles, was ich weiß. Wir haben doch keine Ahnung, zu was diese Typen, die Graziella erwähnte, fähig sind. Die könnten ihr etwas antun. Ich hatte den Eindruck, sie hat Angst vor denen. Als hätten die sie in der Hand.«
Victoria bedachte mich mit einem ätzenden Blick. »Ich will ja nicht herzlos klingen, aber ich weiß nicht, ob mich das kümmert. Die Frau macht nichts als Ärger, Charlie.«
»Gut, aber bedenke Folgendes. Womöglich haben die einen Maulwurf bei der Polizei. Und wenn das der Fall ist, finden die im Handumdrehen raus, wo die betreffenden Informationen herkamen.«
»Herrgott noch mal, Charlie«, raunzte sie mich an, brach ihren Keks entzwei und tunkte ihn in den Tee. »Das klingt völlig paranoid. Was meinst du, mit wem wir es hier zu tun haben? Der Mafia?«
Ich zog eine Schnute. »Die haben Waffen, Vic. Und Sprengstoff. Wonach hört sich das deiner Meinung nach an?«
»Ach du liebes bisschen. Du hast diese Klischeevorstellung von la familia im Kopf.« Gereizt wedelte sie mit ihrem Keks herum. »Dein Buch strotzt nur so davon, bloß mal nebenbei bemerkt. Diese lächerliche Figur, die du dir da ausgedacht hast – Don Giovanni –, die wirkt völlig überzeichnet und unglaubwürdig.«
Mir fielen fast die Augen aus dem Kopf. »Hältst du das jetzt wirklich für einen geeigneten Zeitpunkt für eine Literaturkritik?«
»Nein. Aber ich glaube sehr wohl, dass ein anonymer Hinweis machbar wäre.«
»Tja, und ich glaube, dass es lachhaft wäre.«
Victoria beäugte mich, dann beäugte sie ihren zweiten Keks. Es dauerte nicht lange, da hatte sie den kleinen Kerl auch schon beim Schlafittchen gepackt und ließ ihn Bekanntschaft mit dem Gebräu in ihrer Tasse machen. Tunk, tunk, knusper.
» Willst du meine Meinung dazu hören?«, fragte ich und redete einfach weiter, ehe sie mir eine spitze Antwort darauf geben konnte. »Wenn wir gehen, wird der Graf sterben. Wenn wir bleiben, wird der Graf sterben. So oder so, es läuft auf dasselbe hinaus, bis auf eine Kleinigkeit. Wenn wir heute Abend um neun immer noch in Venedig sind und der Graf ist noch nicht tot, dann haben wir womöglich auch nicht mehr lange zu leben.«
Das machte sie dann doch etwas nachdenklich. Um ganz ehrlich zu sein, alles andere hätte mich auch sehr beunruhigt. Schließlich wird man nicht jeden Tag derart mit der Nase auf die eigene Sterblichkeit gestoßen – zumindest nicht von einer hochbegabten Fassadenkletterin, die über Mittel und Motivation verfügte, einem eine Kugel in den Kopf zu jagen.
»Was ist mit dem Kartoffelsack, der uns hinterhergelaufen ist?«, fragte Victoria. »Hast du Graziella nach ihm gefragt?«
»Natürlich nicht. Schließlich wollte ich nicht, dass sie annimmt, ich hätte ungewollte Aufmerksamkeit erregt.«
»Der könnte doch zu ihrem feinen Verein gehören. Einer der Leute, von denen sie geredet hat.«
»Könnte sein, ja. Vielleicht besteht aber auch eine ganz andere Verbindung zwischen den
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