Schwarze Schafe in Venedig
beiden.«
»Würde uns schon mal etwas weiterhelfen, wenn wir das wüssten oder vielleicht sogar mit ihm reden könnten.«
»Tja, na ja«, meinte ich und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Mir würde viel einfallen, das uns weiterhelfen würde. Unter anderem ein Zugticket raus aus Venedig.«
Victoria hob die Teetasse an die Lippen. Allem Anschein nach war es nun an der Zeit, ihr wundersames Elixier zu kosten. Ich hatte meins noch nicht angerührt. Meine Nerven lagen blank, aber das war mir nur recht. So blieb ich hellwach. Und, so Gott wollte, auch am Leben.
»Nur mal rein hypothetisch angenommen«, sagte Victoria zu mir, »sagen wir mal, wir verkrümeln uns nicht aus der Stadt, verständigen aber auch nicht die Polizei. Was bleibt uns dann noch?«
»Ein unlösbares Problem?«
»So darfst du gar nicht erst denken, Charlie. Es muss doch noch eine andere Möglichkeit geben. Faulks würde bestimmt was einfallen, also müsste dir das doch eigentlich auch gelingen.«
Worauf ich mir die Lippen leckte und ein mürrisches Lächeln abrang. »Was soll ich dir sagen, Vic. Vielleicht könnten wir noch einigen weiteren Hinweisen nachgehen. Der Spur zu dem Buchbinderladen zum Beispiel. Vielleicht könntest du ja versuchen, mit dem Besitzer zu reden.«
»Aber irgendwie habe ich da kein gutes Gefühl . Und ich glaube auch nicht, dass sich unser Problem auf diese Weise schnell genug lösen lässt. Ich bin immer noch der Meinung, wir müssen irgendwas übersehen haben. Irgendwas wirklich Provokantes, vielleicht sogar etwas, womit wir Graziella dazu bringen könnten, ihre Frist zu verlängern.«
Victoria stützte das Kinn auf die Hand und legte die Finger an die Lippen, wobei sie auf ihr Spiegelbild in der Scheibe jenes Fensters schaute, durch das Graziella vor gerade mal zwei Tagen entwischt war. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie mir gar nicht mehr zuhörte, sondern stattdessen lieber jeden adretten, ordentlichen Winkel ihres aufgeräumten Hirns durchforstete, wie man die harte Nuss, die Graziella uns da vorgesetzt hatte, auf elegante Art und Weise knacken könnte. Ich glaubte kaum, dass sie eine Lösung finden würde – in meinen Augen lag unser Heil allein in der Flucht –, und es war mir auch gar nicht recht, dass sie mich einfach so ausgeblendet hatte.
»Vielleicht hast du Recht mit unserem bärtigen Verfolger«, stimmte ich ihr zu, um sie wieder zu ködern. »Keine Ahnung, wie wir an den rankommen, aber es würde sicher nicht schaden, noch mal dahin zu gehen, wo er sich uns beim letzten Mal an die Fersen geheftet hat. Du weißt schon, gegenüber vom Palazzo auf der anderen Seite des Canal Grande.«
Nichts. Nicht der leiseste Hauch einer Reaktion. Vermutlich hätte ich ihre Bemühungen respektieren und sie in Ruhe nachdenken lassen sollen, aber ich war etwas angesäuert. Schließlich war ich der Meinung, wir sollten längst über alle Berge sein. Und wenn wir schon unsere Zeit mit überflüssigem Brainstorming verschwendeten, dann könnte sie mir doch zumindest mal zuhören.
»Verdammt, Victoria, hast du auch nur ein Wort davon gehört, was ich gesagt
habe?«
Empört trat ich mit der Fußspitze gegen den Überseekoffer. Nicht sehr fest, aber laut genug, um sie aus ihren Tagträumen aufschrecken zu lassen. Sie fuhr auf und bedachte meine Zehen mit einem vorwurfsvollen Blick. Ihre Augen wurden erst schmal und dann groß und rund. Ein Lächeln erschien auf ihren Lippen. So hatte ich sie noch nie gesehen, und ich wusste aus Erfahrung, das konnte nichts Gutes bedeuten.
»Das ist es«, rief sie. »Charlie, ich hab’s! Ich weiß, was zu tun ist.«
Und dann verriet Victoria mir ihre geniale Idee. Und obwohl ihr Plan gleichermaßen haarsträubend und hirnrissig war, erschien er mir doch irgendwann – sei es, weil ich so ein hoffnungsloser Schwachkopf war oder sie mich mit ihrem betörenden Gesäusel eingelullt hatte – wider jeden gesunden Menschenverstand vollkommen plausibel und einleuchtend.
Vierundzwanzig
Ein Rückkehr zum Palazzo Borelli stand nicht unbedingt ganz oben auf der Liste meiner liebsten Freizeitbeschäftigungen. Andererseits hätte ich mich unter normalen Umständen auch nicht darum geschlagen, in den dunklen Gassen von San Polo herumzulungern und darauf zu warten, dass ein Lieferant seine leere Handkarre stehen ließ, damit ich sie unauffällig mitgehen lassen konnte, und ich hätte auch nicht unbedingt mit dem vaporetto bis zum Arsenale fahren und die Kanäle des Castello
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