Schwarze Schilde
»Was macht das einem königlichen Boten schon aus?«
Hael grinste. »Eine gute Antwort. Ich gebe dir eines meiner besten Cabos. Deines kann hier bleiben, um sich zu erholen. Cabos sind nicht so widerstandsfähig wie Boten des Königs.«
Der Mann suchte sich einen Sitzplatz, und Haels angeheiratete Verwandte umringten ihn schweigend. Er wusste, dass sie darauf warteten, dass er den Brief vorlas. Keiner von ihnen konnte lesen, und sie hielten diese Fähigkeit für einen weiteren Beweis seiner magischen Kräfte. Er erbrach das Bleisiegel und schraubte den Verschluss von dem Kupferbehälter. Eine Schriftrolle fiel heraus. Hael legte den Behälter beiseite und zog an einer Kordel, um das Wachssiegel zu erbrechen. Seine Beobachter sahen ihm voller Interesse zu, als vollziehe er ein arkanes Ritual. Hael räusperte sich und begann zu lesen.
»Von Pashir, dem König von Neva und Herrscher über die angrenzenden Gebiete, an König Hael der Steppe.
Ich grüße meinen geehrten und geliebten Bruder, König Hael.«
»Er steckt in Schwierigkeiten«, unterbrach ihn Afram. »So hat er dir noch nie geschmeichelt.« Jetzt, da er einen König zum Schwiegersohn hatte, gefiel es dem alten Häuptling, sich als Kenner der großen Politik zu betrachten.
»Ruhig!« ermahnte ihn seine Frau. »Lass den Jungen weiterlesen.«
»Mögen die Götter es geben, dass Dich diese Botschaft bei bester Gesundheit erreicht. Deine Herrschaft sei von langer Dauer, Dein Volk zahlreich, Deine Schatztruhen wohlgefüllt und Deine Krieger erfolgreich und mächtig. Ich hoffe, auch Deine Söhne und Deine Gemahlin sind wohlauf. Mögen die Götter Dein Reich mit ihrem Segen überhäufen, wie er auch mir zuteil wurde.
Ich sende Dir eine Botschaft zu so außergewöhnlicher Jahreszeit, weil eine neue Gefahr unsere Küsten bedroht. Unser oberster Schriftgelehrter und Kartograph, Choula, der auch dieses Schreiben verfasst, berichtet, dass er Dir von den Überfällen der Insulaner auf See Mitteilung machte. Bis vor kurzem handelte es sich nur um Überfälle, um eine bloße Unannehmlichkeit, die Wir nicht als bedrohlich betrachteten. Das hat sich geändert. Anscheinend haben sich sämtliche Inseln unter einem Emporkömmling namens Gasam vereint, der sich als König bezeichnet.«
Hael hielt inne. Er wechselte einen betrübten Blick mit Deena. Von den Anwesenden kannte nur sie diesen Namen und seine Bedeutung.
»Gebt dem Jungen etwas Wein«, befahl Afram. »Lesen ist eine schwere Arbeit.«
Hael fuhr fort.
»Zu Beginn des Herbstes besaßen die Piraten die Unverschämtheit, eine meiner Städte – Floria – einzunehmen, deren Mauern stark verfallen und deren Soldaten durch die langen Friedensjahre verweichlicht waren. Nachdem sie die Stadt plünderten, segelten sie nicht, wie sie es früher taten, zu den Inseln zurück, sondern blieben gegen Unseren königlichen Willen in Floria und raubten auch die umliegenden Dörfer aus. Als Wir davon erfuhren, boten wir eine kleine Streitmacht auf und marschierten zur Nordküste, um den unverschämten Barbaren und ihrem anmaßenden Anführer einen Denkzettel zu erteilen. Die Eindringlinge, die Wir in größerer Zahl und besser vorbereitet als erwartet antrafen, konnten Unsere Truppen zurücktreiben und zwangen Uns zur Rückkehr in die Hauptstadt, wo Wir uns jetzt auf den nächsten Feldzug vorbereiten. Es wäre Uns eine große Ehre, wenn Unser geliebter Freund, König Hael, uns dabei begleiten und einen Trupp seiner berühmten berittenen Bogenschützen anführen würde. Diese Krieger sind zum Schrecken und zum Wunder der zivilisierten Welt geworden. Abgesehen von der Tatsache, dass wir die Welt von diesen entsetzlichen Insulanern befreien würden, ergäbe sich hier die Möglichkeit, unsere beiden Reiche im Geiste brüderlicher Harmonie zusammenarbeiten zu lassen, die gewiss immerdar zwischen uns herrschen wird.
Wir erwarten Deine Antwort, die uns gewiss der großen Unterstützung Deines Volkes versichern wird.«
Hael rollte das Schriftstück wieder zusammen; seine Stirn war gerunzelt.
»Ist das alles?« fragte Afram. »Hat er tatsächlich einen Mann mitten im Winter über die Berge geschickt, um diese Botschaft zu überbringen?«
»Ich habe die Sprache zu verstehen gelernt, die Könige in förmlichen Schreiben benutzen«, sagte Hael. »Nichts ist so, wie es sich anhört. Wenn er schreibt, seine Truppen wurden zurückgetrieben, hat er auf jeden Fall eine schlimme Niederlage erlitten. Stimmt’s,
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