Schwarze Schmetterlinge
Da können andere von mir aus gern in ihren Gourmetlokalen hocken, mit zwei Spargeln über Kreuz auf einem Spiegel aus gehackter Schnecke. Zu Hause kann ich mir noch nicht mal ein paar Eier braten, ohne dass Pernilla dasteht und mir die Kalorien vorzählt. Ein Mann hat ein Recht auf seine Wampe. Ich sag dir, die muss man einsetzen können, wenn man an den Wochenenden die Leute von den Kneipen nach Hause fährt.«
Svenne nahm einen Schluck Bier und unterdrückte einen ausgewachsenen Rülpser. In Hinblick auf die abendliche Jagdsaison hatte er sich so stark einparfümiert, dass man meinen könnte, es handele sich um die Jahresration irgendeines billigen Diesels aus dem Schlussverkauf. Per hielt den Atem an, während er zuhörte.
»Als Taxifahrer ist man nämlich die letzte Chance für die Übriggebliebenen. Letztes Wochenende hatte ich Nachtdienst, und da war eine Frau, die hat mich gefragt, ob ich nicht mit ihr nach Hause kommen will. Geht nicht, hab ich gesagt. Warum denn? Wann hast du Schluss?, hat sie gefragt. Um vier, habe ich geantwortet, und ehe ich noch was sagen konnte, hatte sie ihre Ersatzschlüssel auf den Beifahrersitz geworfen und war in der Tür verschwunden. Und nun wusste ich nicht, wie ich das Ganze händeln sollte. Also, was ich mit den Schlüsseln machen sollte.« Vom Sofa kamen wissende Zurufe. »Nein, nein, ich wollte ja gar nicht. Aber sie musste ja irgendwie ihre Schlüssel zurückkriegen, also bin ich nach meiner Schicht zu ihr gefahren. Die Haustür stand offen, und ich bin die Treppe raufgeschlichen, ohne das Licht anzumachen. Drei Treppen rauf und dann rechts, hatte sie gesagt. Ich tastete mich vorwärts und ließ die Schlüssel dann leise in den Briefschlitz fallen. Dann rannte ich so schnell ich konnte. Als ich auf die Straße rauskam, rief sie vom Balkon aus hinter mir her. Ich drehte mich um. Ja, verdammt, da stand sie in so einem durchsichtigen Ichweißnichtwas und schrie: Ich habe mich nach dir gesehnt! Die ganze Nacht habe ich mich nach dir gesehnt!«
»Weiß Pernilla davon?«, fragte einer.
»Na klar. Ich glaube sogar, die Frau hat ihr ein wenig leidgetan. Pernilla hat vorgeschlagen, dass wir zusammen hinfahren, damit sie nicht so einsam ist.«
Der Geschichte folgten weitere, eine saftiger als die andere. Geburten, bei denen man darüber diskutierte, ob man nun für einen oder für zwei Passagiere bezahlt nehmen sollte, und auch die eher makaberen Erzählungen. Einmal hatte ein neu angestellter Fahrer einen alten Mann mitgenommen, der einen Behindertenausweis hatte und seine Schwester in der Stadt besuchen wollte. Nach einer Weile setzte der Fahrer völlig aufgelöst einen Notruf ab. Der Mann neben ihm reagierte nicht mehr auf Ansprache und ließ den Kopf auf seltsame Weise hängen. »Was soll ich tun?«
»Kein Problem«, hatte Svenne geantwortet, um ihn zu beruhigen. »Fahr in die Notaufnahme, da kümmern sie sich um ihn.«
»Aber … aber er …«
»Fahr einfach mit ihm zur Notaufnahme. Die kriegen das schon hin. Du musst ihn nur hinfahren.«
»Aber er hat ja noch nicht bezahlt! Er ist schließlich tot. Wo kriege ich denn jetzt bloß mein Geld her?«
11
Weil sie aus irgendeinem unerfindlichen Grund versäumt hatten, einen Tisch zu bestellen, mussten sie im Herbststurm Schlange stehen. Der Wind zerrte an den Bäumen, und die gelben Blätter segelten in fröhlichen Runden über dem dunklen Wasser des Svartån. Das Licht der Straßenlaternen spiegelte sich darin und wurde, als der Wind die Wasseroberfläche kräuselte, in glitzernde Prismen aufgesplittert, wie abstrakte Graffiti in Neonfarben.
Aus der Freimaurerloge strömten Gelächter und Musik. Eine Frau mit langem, dunklem Haar stellte sich auf die Treppe und hielt die Hand gen Himmel, um zu fühlen, ob es immer noch regnete. Einen kurzen Moment lang, während ihr Gesicht noch im Dunkeln lag und bevor sie eine Zigarette anzündete, bildete sich Arvidsson ein, dass es die Erscheinung vom Hauptbahnhof sein könne.
Svenne regte sich über den Preis an der Garderobe auf. Für Stammkunden sollte der doch ermäßigt sein. Arvidsson verlor die anderen aus dem Blick und folgte versehentlich einer anderen Gruppe in den oberen Stock. Ziemlich angetrunken versuchte er, sich auf das zu konzentrieren, was vor ihm lag. Mit jedem Schritt erstarb die Tanzcombo-Musik etwas mehr und wurde durch Jazztöne ersetzt. Es dauerte nicht lange, da erkannte er »Ain’t missbehavin’«.
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