Schwarze Schmetterlinge
alle Singles von Örebro pflegten sich in voller Kriegsbemalung im Royal zu versammeln. Wenn er heute Abend richtig Glück hatte, dann würde Felicia dort sein. Per holte das Bier und lehnte sich abwartend mit dem Rücken an die Wand. Das laute Lachen und die übereifrigen Gesten erinnerten ihn an Theater. Man schauspielerte und hatte doch Schwierigkeiten, die richtige Rolle zu finden – das machte ihn bei solchen Gelegenheiten immer verspannt. Jäger oder Beute? Interessante Menschen wurden in dem lauten Gemisch von Musik und Stimmen auf ihr Aussehen und im besten Fall auf Zweiwortsätze reduziert. Blicke, die abschätzig auf Körpern ruhten. Lach mal, damit ich sehen kann, ob du schöne Zähne hast. Rein mit dem Bauch. Raus mit der Brust. Die Muskeln spielen lassen. Und dann die Fragen, die unterschwellig aus den Blicken sprachen: Bin ich gut genug? Darf ich dich auf einen Drink einladen? Kann ich hinterher mit dir ins Bett gehen? Kommst du oft hierher? Wie verzweifelt bist du auf der Suche?
Arvidsson blieb an der Wand stehen und verweigerte den Blickkontakt. Er wollte sich nicht auf Frauen einlassen, die sich in diesem Supermarkt zeigten, wo nur die Augen die Werte bestimmten. Doch dann wanderten seine Gedanken weiter zu Felicia, und er erkannte seine eigene Fixierung auf eine Erscheinung, deren bislang einziger Pluspunkt ihr Aussehen war mit einem vollkommenen, wunderbaren Lächeln.
Lena unterhielt sich an der Bar mit einem Verkäufer. Sie strich sich über den Hals. Schob das Haar hinter die Ohren und blinzelte mehr, als es der Rauch erforderlich machte. Der Verkäufer schirmte sie und zwei kleine Blondinen mit seiner Körpermasse ab. Arvidsson hatte dieses Phänomen schon einmal gesehen, und zwar in einer Fernsehsendung über Seehunde. Der männliche Seehund bekommt alle Weibchen, auf denen er gleichzeitig liegen kann. So haben manche von ihnen mehrere Weibchen gleichzeitig, andere kriegen gar keine ab. Felicia war nicht zu sehen. Lena hatte einen Paarungstanz begonnen.
Per fühlte sich im Stich gelassen und setzte sich an die Bühne, um dem Standup-Comedian des Abends bei seinen Ausführungen über die Gleichberechtigung zu folgen.
Die Nacht im Schein der Straßenlaternen war sanft und dunkelblau, als sie die Kneipe verließen. Der Auftritt war absolut okay gewesen, und Per war trotz allem ganz zufrieden.
»Ich werde niemals einen Mann kriegen, und ich versuche jetzt, mich an den Gedanken zu gewöhnen«, sagte Lena, während sie in die Sturegatan einbogen.
»Wie kommst du denn darauf?« Per war aufrichtig erstaunt über ihre freimütigen Worte.
»Erfahrung. Ich lerne in der Kneipe jemanden kennen. Wir flirten ein bisschen. Er ruft an. Wir treffen uns bei ihm zu Hause. Es wird Ernst. Ich stelle ihn Paula vor. Dann ist Schluss. Sie lässt keinen Mann über die Schwelle. Ich komme mir vor wie die Jungfrau im Turm. Es gibt niemanden, der sich traut, bis ganz nach oben zu klettern.«
»Willst du mir von Paula erzählen? Was ist denn los mit ihr? Warum kann sie nicht allein wohnen?«
Lena schwieg eine Weile und wog ihre Loyalität gegenüber Paula gegen die Erleichterung ab, von der Belastung erzählen zu können. »Paula leidet unter einer Entwicklungsstörung. Mama war Alkoholikerin. Als sie mit Paula schwanger war, hat sie eine ganze Menge getrunken. Paula ist ein Nachkömmling. Wir sind vierzehn Jahre auseinander. Der Arzt in der Kinderklinik hat gesagt, Paula sei ein Beispiel wie aus dem Lehrbuch dafür, welche Schäden Alkohol bei einem Ungeborenen anrichten kann. Ich habe gehört, wie er das zu Mama gesagt hat.«
»Es ist zynisch, so etwas zu sagen.«
»Ja, aber wahr. Das Problem, das ich jetzt habe, ist, Paula von Drogen und kriminellen Gangs fernzuhalten. Früher oder später hättest du das sowieso erfahren. Sie fixt. Nimmt Amphetamine. Lässt sich sexuell ausnutzen. Haut ab. Es ist schon passiert, dass ich mich mehrere Tage lang habe krankschreiben lassen, um sie bei unseren schlimmsten Klienten zu suchen. Im Moment habe ich einen Praktikumsplatz für sie gefunden. Sie hilft einer Putzfrau im Krankenhaus, deshalb kann ich momentan ein wenig durchatmen. Keine Ahnung, wie lange noch. Ich weiß ja nicht, wann es wieder knallen wird. Wie soll ein anderer Mensch mich ausreichend lieben können, um ein solches Leben zu teilen?«
»Gibt es denn keine Möglichkeit, dich zu entlasten, einen Platz in einer betreuten Wohngemeinschaft vielleicht? Hast
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