Schwarze Schmetterlinge
Blut. Der Unterkiefer schmerzte, pochte und zog. Er spürte, wie ihm warmes Blut aus der geplatzten Augenbraue übers Gesicht rann. Ein starkes Gefühl von Unwirklichkeit dämpfte sein Bewusstsein. Jemand packte seine Beine und hielt sie fest. Der Mann mit dem rasierten Schädel schaffte es, sich herumzudrehen, war dann oben und setzte sich auf seinen Bauch. Die Kette schwang vor seinem Gesicht hin und her. Seine Augen glänzten schwarz im Mondlicht. Eine Hand zog den Reißverschluss von Pers Lederjacke auf und holte die Brieftasche heraus.
»Ach du Scheiße, das ist ein Bulle!« Ein weiterer Schlag auf den Kopf, und sie wurden von der Dunkelheit verschluckt. Als ihre Schritte verhallt waren, versuchte er aufzustehen, doch ihm wurde schwarz vor Augen. Auf allen Vieren kriechend suchte er Schutz in einem Gebüsch. Er wischte sich das Blut vom Gesicht und suchte in der Jacke nach seinem Handy, das er zu seiner Erleichterung gleich fand.
Das Licht schnitt in den kleinen Schlitz des eines Auges, das Per noch aufhalten konnte, als er in die ausgelagerte Notaufnahme im Gebäude B gebracht wurde. Er begegnete den ängstlichen Blicken der Mitpatienten, ehe er in einen provisorischen Behandlungsraum aus Paravents gelegt wurde.
»Die Frau Doktor kommt gleich.« Der Schmerz im Unterkiefer machte sich jetzt bemerkbar, das ganze Gesicht fühlte sich geschwollen an. »Was ist mit Ihnen passiert?« Er versuchte, klar und deutlich zu antworten, aber die Stimme klang überhaupt nicht so, wie er es sich gedacht hatte. »Wie viel Alkohol haben Sie getrunken?«
»Bier.« Er war nicht sicher, dass die Botschaft ankam, wohl aber die Assoziationen, die seine Erscheinung mit sich brachte. Im Bericht würde später stehen, dass er bei der Einlieferung unter Alkoholeinfluss gestanden habe.
»Felicia Sjögren, Ärztin.« Er griff nach ihrer Hand, und einen Augenblick lang überlegte er, wo er eigentlich gelandet war. Wäre da nicht der durchdringende Schmerz gewesen, dann hätte er die Illusion als Auswuchs seines Wunschdenkens eingeordnet.
»Ach, du bist das«, sagte er und versuchte zu lächeln, obwohl er spürte, wie die Lippe aufsprang und blutete.
»Ich werde dich in die Augenklinik schicken. Warst du ohnmächtig?« Er verneinte. Ihr Gesicht war jetzt ganz nah, und er merkte, dass sie gut roch. »Wir hätten gern die Telefonnummer deiner nächsten Angehörigen. Auf der Karte hier steht nichts.« Er dachte nach und schüttelte den Kopf, ihm war schwindelig durch ihre Gegenwart.
»Irgendein Kollege oder Freund, den wir anrufen sollten?«
»Die Polizei.«
»Du willst Anzeige erstatten?«
»Ich arbeite als Polizist.« Er war nicht sicher, ob sie verstanden hatte, was er gesagt hatte, bis er durch den schmalen Augenschlitz das Misstrauen auf ihrem Gesicht sah. Dachte man an seinen kläglichen Abgang aus der Freimaurerloge, war das kein Wunder. Eigentlich wollte er sie einfach nur küssen und umarmen, und … Gott, war das alles kompliziert.
»Als Polizist? Gibt es denn niemanden, den wir anrufen können?«, fragte sie.
Er dachte nach. Pernilla? Nein, die hatte genug mit ihrer Arbeit zu tun. Musste vor sieben Uhr aufstehen. Die durften sie nicht mitten in der Nacht anrufen. Einen Moment lang dachte er an Lena, nahm davon aber aus taktischen Gründen Abstand. Schließlich könnte Felicia denken, dass sie ein Paar waren. Dann musste er wieder an den Abend mit den Taxijungs denken. In Felicias Augen war er sicher bereits mit dem Goldenen Hosenladen verbandelt. Lena anzurufen würde dann wie eine Form der Bigamie erscheinen. Auf der anderen Seite konnte die Sache eigentlich kaum noch schlimmer werden, als sie ohnehin schon war. Ging es überhaupt noch schlimmer? Was hatte er schon zu verlieren?
»Du bist schön«, murmelte er.
»In der Abenddämmerung bin ich am schönsten. Morgen wirst du klarer sehen.«
»Willst du mit mir essen gehen?«
»Erst müssen wir nachsehen, ob du noch alle Zähne hast. Probier mal, ob sie noch alle an ihrem Platz sind. Am Kinn hast du ein fettes Hämatom, und die Augenbraue muss ich nähen.«
13
»Der Elch, der lachte unverdrossen im Wald, der kurz und klein geschossen«, deklamierte Pernilla, die sich erboten hatte, das Steuer zu übernehmen, als sie sich am Morgen nach Pers Krankenhausaufenthalt auf den Weg zum Nordfriedhof machten. Dort wollten sie Helens Grab besuchen.
»Warum sagst du das?«
»Weil du so
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