Schwarze Schmetterlinge
Nächte flossen zusammen. Die Gespräche mit Felicia wurden immer kürzer und unzusammenhängender. Sie könne ihn verstehen, sagte sie. Vielleicht war es so.
Als Pernilla am fünften Tag kam, um ihn abzulösen, fuhr er widerwillig nach Hause, um zu duschen. Das Wasser rieselte über seinen Körper. Per merkte, dass er fror, obwohl das Wasser kochend heiß war. Er zog sich saubere Kleider an und fuhr wieder ins Krankenhaus. Alles war unverändert. Pernilla musste wieder nach Örebro zurück. Er umarmte sie fest und lang. Meine Schwester, meine eigene Schwester. Die Dankbarkeit im Schweigen. »Verstehst du mich jetzt?«, hatte sie ihn gefragt, ehe sie die Tür zum Zimmer geschlossen hatte. Er hatte ihr über die Wange gestreichelt. Wie sollte er sie verurteilen, weil sie Helen über die Grenze geholfen hatte? Gerade jetzt wünschte er sich nichts mehr, als dass das Leiden ein Ende finden möge.
Und dann war es zu Ende. Einer der Atemzüge wurde der letzte. Die Stille, das Warten und der Atemzug, der nie kam, wurde zu einem Schrei zwischen den kahlen Wänden. Das Ende, das so aufwühlend und gleichzeitig so ersehnt war. Der Gedanke barg ein vages Schuldgefühl und auch Erleichterung.
Per ging voller Gefühle und leer an Gedanken ins Tageslicht hinaus. Er spazierte unter den Ahornbäumen am Fluss entlang und rief Felicia an. Sie sei nicht erreichbar, teilte man ihm im Krankenhaus mit. Er wählte die Nummer von Pernilla. Svennes Stimme klang angespannt und seltsam. Per meinte, im Hintergrund eine Frauenstimme zu hören.
»Ist Pernilla nicht bei dir?«, fragte er.
26
Kronviken lag in Herbstdämmerung gehüllt da. Kriminalinspektorin Maria Wern sah aus dem Fenster, an dem das Regenwasser in einschläfernden Wellen herunterlief. Die Gedanken, die eigentlich auf die Anzeige konzentriert sein sollten, die sie vor sich auf dem Schreibtisch liegen hatte, wanderten unwillkürlich immer wieder zu dem unerwarteten Zusammentreffen mit Per Arvidsson zurück. Eine Begegnung, die alles wieder aufgewühlt hatte, was doch abgeschlossen sein sollte. Das Gefühl, das so geheim war, dass sie es vor sich selbst verborgen hatte, war in diesem Moment so deutlich geworden.
Jetzt, da er nicht mehr zu haben war, konnte sie sich gefahrlos den Tagträumen hingeben. Konnte es sich leisten, sich vorzustellen, was gewesen wäre, wenn … wenn sie ihm ihre innersten Gefühle offenbart hätte. Ihre Sehnsucht nach Nähe, aber auch ihre Angst und ihre Zweifel. Sich vorzustellen, was geschehen wäre, wenn sie es ehrlich und ganz offen gesagt hätte. Sein Kuss auf ihrer Stirn. Die Frage, die nie ausgesprochen wurde, die aber den Raum zwischen ihnen ausfüllte. Er hatte sich in der Tür umgedreht. Sie hätte in seinen Arm flüchten können. Aber die Angst vor dem, was das mit sich bringen würde, und die Loyalität Krister gegenüber waren in dem Moment stärker gewesen. Sie hatte sich für den Versuch entschieden, zu flicken, was durch fehlendes Engagement, Trägheit und Egozentrik auseinandergerissen worden war. Krister seinerseits hatte versprochen, die Verantwortung für Haus und Kinder fairer mit ihr zu teilen, zu einem Familientherapeuten wollte er aber auf gar keinen Fall gehen, so viel stand fest.
Wie würde die Zukunft aussehen? Maria verspürte ein Ziehen im Bauch, ein nagendes Gefühl der Ungewissheit. Sie hatten gemeinsam beschlossen, Zeiten für Nähe und Gefühle zu finden. Zeiten ohne Kinder, in denen sie sich, wie die Experten es verordneten, ungeteilt gegenseitige Aufmerksamkeit schenken könnten. Das waren Gelegenheiten, vor denen ihr immer mehr graute. Es fühlte sich so leer an, so schrecklich leer und einsam, wenn sie auch mit ganzem Herzen versuchte, Ausdrucksmöglichkeiten für die Liebe zu finden, die es ja wirklich einmal gegeben hatte. Um die nötige Inspiration für einen Quickie im Auto um die Mittagszeit zu finden, musste sie sich weit von ihrem Körper entfernen. Ein romantisches Abendessen als Vorspiel zu einer Liebesnacht. Die emotionalen Wortspiele, die Zärtlichkeit und die Blicke konnte man nicht auf Bestellung hervorlocken. Alles, worüber sie noch reden konnten, waren die notwendigen Reparaturen am Haus, die Fenster, die neuen Kitt brauchten, und das Treppengeländer im oberen Stock, das ausgebessert werden musste. Die wichtigen Fragen und Antworten jedoch kamen nicht zutage. Sie konnten nicht ausgesprochen werden. Wer bin ich für dich, heute?
Und dann gab es andere
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