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Schwarze Schmetterlinge

Schwarze Schmetterlinge

Titel: Schwarze Schmetterlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Jansson
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Veranda mit der Aussicht aufs Meer. Der Garten mit seinen Obstbäumen und den Kräuterbeeten. Das Boot, das sie endlose Stunden lang in Wind und glühender Hitze gemeinsam abgeschmirgelt und gestrichen hatten. All das hatte seinen Sinn verloren. An der Tür zum Kinderzimmer blieb sie stehen und betrachtete die Kinder. Sah sie an, bis ihr Blick von den Tränen verschleiert war. Sie spürte die Kälte an ihren nackten Füßen nicht, merkte nicht, wie sie auf den Armen eine Gänsehaut bekam.
     
    Lange stand sie da und betrachtete die Kinder, bis sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte. Ertappt und verschämt folgte sie ihm ins Schlafzimmer. Wortlos schliefen sie miteinander. Fest packten seine Hände ihr Haar und ihren Nacken, während er verzweifelt stieß und stieß, ohne einen befreienden Orgasmus zu erreichen. Mit zornigen Bewegungen zog er sich an. Die Haustür schlug zu. Sie hörte das Auto starten. Hohläugig starrte sie an die Decke, bis der Wecker klingelte.
     
     
    27
     
    Dass man mit zweiundachtzig Jahren so glücklich sein konnte, dachte Stig Julin, als er sich in den Bus nach Kronviken setzte. Die Lebenslust war selten so groß gewesen. Die Sonne wärmte sein Gesicht durch die verstaubte Scheibe. Er knöpfte das Jackett zu und machte sich bereit. Bald war es an der Zeit auszusteigen. Er rollte die Zeitung zusammen und steckte sie in die neu gekaufte Ledertasche. Der Mantel war auch neu, die Schuhe ebenso. Seine Tochter hatte ihm geholfen, Hemd und Hose auszusuchen.
     
    Es war ein großer Tag. Die Bäume da draußen vor der Fensterscheibe bogen sich im Wind, verbeugten sich mit ihren orangegelben Löwenmähnen. Er nickte ihnen zu. Bedankte sich für die Aufwartung, die sie ihm machten. Der Herbst war so reich geworden, der Herbst des Lebens, so voller Frucht und Süße. Er hatte ihre Briefe wieder und wieder gelesen, bis er jedes Wort auswendig konnte. Richtige Papierbriefe, die man anfassen und an seine Wange drücken und küssen konnte.
     
    Die jungen Leute schrieben sich Mails. Schon das Wort konnte man kaum aussprechen. Mail. Der Enkel verbesserte ihn jedes Mal. Man sprach es »Mäjl« aus. Das war ganz und gar nicht dasselbe, wie einen Papierbrief zu kriegen. In einem Papierbrief an seine Geliebte musste man die Worte abwägen und die besten auswählen. Die Handschrift musste schön sein, voller Sorgfalt und Raffinesse. Nicht dreist und hungrig wie in der Jugend, als man erst handelte und dann nachdachte. Eine reife Handschrift mit ausgewählten liebevollen Schwüngen, das hatte Gertrud verdient. Es konnte zwei ganze Tage dauern, ehe sie den Brief in der Hand hielt, und weitere zwei Tage oder sogar mehr, wenn es ein Wochenende war, bis die Antwort da war. Da wollten die Worte wohlüberlegt sein. Denn die ersehnten Zeilen würden wieder und wieder gelesen werden und dann in den Schatz von Liebesworten in Gedichten und zärtlicher Prosa eingehen.
     
    Das dachte Stig Julin, der jetzt Gertrud zum ersten Mal wieder treffen würde, seit sie sich im Sommer auf dem überregionalen Seniorenfest im Gemeindehaus von Sandviken kennengelernt hatten. In seinem Eifer, sie wiederzusehen, stieg er eine Haltestelle zu früh aus. Der Bus bog wieder auf die Straße und verschwand hinter einem baufälligen Schuppen.
     
    Sehr schnell bemerkte er sein Versehen. Der nächste Bus würde frühestens in drei Stunden gehen. Das Handy, das seine Tochter ihm aufgezwungen hatte, lag im Innenfach der Ledertasche. Einen Moment lang erwog er, ein Taxi zu rufen, doch dann entschied er sich anders. Wenn er dem Ufer folgte, dann würde er schnell da sein, und es war wunderbares Spazierwetter. Glücklich wie ein kleiner Junge, der an nichts anderes denkt als an die Gegenwart, das lustvolle Stapfen durch die Ahornblätter, pflügte er mit seinen glänzenden Schuhen durch ein Meer intensiv leuchtender Farben – Blutrot, Rostrot, Gelb und Grün. Das Laub wirbelte vor ihm auf, tanzte im Wind, und er hörte Musik und schwang im Takt zu »Eine kleine Nachtmusik« so gut es ging die Tasche und den Stock.
     
    Dass man mit zweiundachtzig so glücklich sein kann, musste er wieder denken. Dass er die Gnade erfuhr, noch ein letztes Mal das Wunder erleben zu dürfen, das die Verliebtheit bedeutete. Stärker als früher, denn die Zeit ist so kurz und so kostbar, wie wenn ein Soldat mit seiner Frau schläft, ehe er in den Krieg hinausgeschickt wird. Als würde man lieben, um den Tod in die Schranken zu weisen.
     
    Das Gehen war anstrengender,

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