Schwarze Schmetterlinge
Linda waren beide bei Vollmond geboren. Viele Menschen wurden bei Vollmond böse, deprimiert und gewalttätig. Er selbst musste dann rauchen. Aber es gab keine Zigaretten im Haus, schon lange nicht mehr.
Er hatte das Gefühl, als habe Maria irgendwelche Geheimnisse vor ihm. Irgendetwas war da. Vielleicht ein fremder Geruch. Ein anderer Gesichtsausdruck. Sie wichen einander aus, und er wusste nicht, was er daran ändern könnte. Vielleicht verbarg sie etwas vor ihm? Auf ihrem Stuhl am Tisch stand ihr schwarzer Rucksack. Er öffnete ihn und wühlte darin herum, um nach Hinweisen zu suchen. Da, die Brieftasche. Er sah die Quittungen durch: Milch, Katzenstreu und Mohrrüben im Supermarkt. Nasentropfen und ein Mittel gegen Würmer in der Apotheke. Ein Lippenstift, eine Haarbürste und ein Paket Tampons.
Dann stieß er auf das Aufnahmegerät. Warum hatte sie es von der Arbeit mit nach Hause genommen? Er ließ das Band zurücklaufen und hörte sich das Gespräch mit dem Mädchen an. Marias ruhige Fragen waren besser zu hören als die Antworten. Sie hätte Nachrichtensprecherin im Fernsehen werden sollen, dachte er umnebelt. Die Müdigkeit wuchs mit dem Grad seiner Betrunkenheit, und er packte die Sachen wieder in den Rucksack. Vielleicht war es doch nicht so schlecht um ihre Liebe bestellt, wie er dachte. Morgen würde sich alles klären. Wahrscheinlich arbeitete sie zu viel. Vielleicht sollte er einfach ebenso beschäftigt sein wie sie, damit sie sah, dass sie nicht die Einzige war, die abends spät nach Hause kam und wichtige Sachen zu tun hatte. Was sie brauchte, war ein anderer Blick auf ihre eigene Arbeit und ihre Bedeutung.
Vielleicht war es auch an der Zeit, ihr zu erzählen, dass er das Stellenangebot als Marketingleiter in Malmö annehmen würde. Hundertachtzig Reisetage im Jahr, hatte der oberste Chef versprochen. Geschäftsessen, Firmenwagen und Auslandsreisen anstelle von Arbeitsvermittlungsmaßnahmen, Würstchengrillen und ewigen Wartezeiten an der Bushaltestelle – das wäre der Aufschwung, den sein Leben mal gebrauchen könnte. Er würde das Angebot annehmen, auch wenn es zu einem Bruch führen würde. Vielleicht würde eine verbesserte finanzielle Lage ihnen einen Neuanfang ermöglichen. Maria würde aufhören können zu arbeiten und sich der Familie widmen.
Mit diesen wirklichkeitsfremden Gedanken ging Krister Wern, behaglich in seine eigene Rhetorik eingelullt, wieder ins Bett.
Als Maria am nächsten Morgen hohläugig und mit steifen Knochen zur Arbeit kam, nachdem sie die Kinder selbst hatte wegbringen müssen, weil Krister nach den Drinks vom Vorabend einen Kater hatte, hatten sich die anderen zum Informationsaustausch im Konferenzraum versammelt. Hartman würde in Ragnarssons Abwesenheit die Voruntersuchungen im Fall der ermordeten Frau auf dem Rastplatz leiten, da dieser wahrscheinlich für den Rest des Jahres krankgeschrieben sein würde. Ek lieferte eine kurze Zusammenfassung. Die Identität des Opfers hatte man noch nicht feststellen können, doch im Lauf des Tages würde man die Liste über alle als vermisst gemeldeten Personen durcharbeiten, zunächst im Bezirk und dann, falls das keine Ergebnisse bringen würde, auch überregional.
»Der Fundort ist höchstwahrscheinlich nicht mit dem Tatort identisch.« Die Kriminaltechnikerin Erika Lund hielt ein paar von den Bildern hoch, die noch während der Nacht entwickelt worden waren. »Meiner Einschätzung nach war die Frau zwischen fünfunddreißig und vierzig Jahre alt. Ihr ist die Kehle durchgeschnitten worden, und zwar so, dass sie sicher nach wenigen Minuten tot war. Der Müllsack enthielt kein Blut in nennenswerten Mengen. Die Kleider sind angekokelt, Teile des Körpers sind schwer verbrannt.« Erika zeigte ein Foto mit den rußigen Fetzen eines langen Kleides, einer blauen Häkelmütze, ein paar blonden langen Haarsträhnen und einer Armbanduhr mit zerbrochenem Zifferblatt.
29
Von seinem Platz an der Bar aus sah Krister Wern über das Lokal. Auf der Tanzfläche war es rappelvoll von Paaren, die sich zu den Klängen der Siebzigerjahre-Ohrwürmer bewegten, die von einer Band aus der Gegend, deren Namen er schon wieder vergessen hatte, zum Besten gegeben wurden. Die Donnerstagabende waren eigentlich nicht sonderlich geeignet, wenn man die Damen für sich allein haben wollte. Es gab eine spürbare Konkurrenz durch die Handelsvertreter, die geschäftlich im Ort waren. Das Leben als Handelsvertreter
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