Schwarze Schmetterlinge
hatte durchaus seine Verlockungen. Die Freiheit, immer wieder an neue Orte zu kommen, wo man sich eine neue Identität geben konnte und wo keiner so genau wusste, wer man war. Es wäre durchaus möglich, sich einen neuen Namen und einen neuen Beruf auszudenken. Eine Frau mit aufs Zimmer zu kriegen war der Lohn des Kriegers nach einem Tag der Mühsal. Keine Verpflichtungen, keine Versprechen und kein Gerede von Verantwortung. Diese Vorstellung war in der Tat sehr verführerisch.
Maria würde heute Abend wieder spät heimkommen. In diesem Moment ging sie davon aus, dass er die Kinder ins Bett gebracht hatte und zu Hause vor dem Fernseher wartete.
Eines Tages würde er ihr gestehen müssen, dass er den IT-Kurs abgebrochen hatte, weil es so erniedrigend war, als überalterter Sitzenbleiber zwischen den karrierehungrigen und wissbegierigen jungen Leuten zu sitzen. Er würde auch erzählen müssen, woher das Geld kam, von dem sie lebten, dass sie derzeit mehr oder weniger von seiner Mutter, Gudrun Wern, versorgt wurden. Und dass er das Jobangebot in Malmö angenommen hatte. Würde Maria ihren Job in Kronviken sausen lassen, um allein mit den Kindern in einer Wohnung in Malmö zu sitzen? Da war er sich inzwischen nicht mehr so sicher. Wenn er an Maria dachte, schmeckte das Bier plötzlich ein wenig wässrig, und er bestellte sich einen Kognak, um den Magen zu beruhigen.
Schon bald würde sie nach Hause kommen und feststellen, dass ihre Schwiegermutter den Babysitter gab. So kann es gehen, wenn man einen Job hat, der einem wichtiger ist als das Familienleben. Das hielt doch kein Mann auf die Dauer aus, dass seine Frau nächtelang mit ihren männlichen Kollegen in ein enges Auto gequetscht Streife fuhr. Stunde um Stunde vertraulicher Gespräche, von der gemeinsamen Aufgabe zusammengeschweißt. Wer wusste schon, wohin das führte. Woher wollte er wissen, dass sie ihn nicht betrog?
Krister erhob sich vom Barhocker und machte sich auf in Richtung Toiletten, die sich eine Treppe tiefer befanden. Hinter einem Pfeiler bemerkte er einen Tisch mit fünf lachenden Frauen und beschloss, später noch einmal vorbeizuschlendern, wenn die ganz akuten Bedürfnisse gestillt waren. Er kreuzte zielstrebig zwischen den Tischen hindurch. Eigentlich bin ich doch ganz tageslichttauglich, dachte er. Auf der Herrentoilette begegnete er überraschend seinem Bruder Jens.
»Mensch, Brüderchen!«
»Hallo, Krister, was machst du denn hier? Hat man dich an einem ganz gewöhnlichen Wochentag rausgelassen? Ich hab gedacht, Maria hat jede Menge zu tun. Hab im Radio gehört, dass am Rastplatz Süd was passiert ist. Da ist richtig viel los, die ganze Umgebung ist abgesperrt.«
»Mama gibt den Babysitter. Ich muss ja wohl auch mal ein Privatleben haben.«
»Privatleben? Du bist witzig. Worum geht es bei dem Fall eigentlich? Mord oder Drogen? Wenn Maria Nachtschichten schiebt, dann ja wohl kaum, weil jemand an Altersschwäche gestorben ist. Jetzt komm schon, Krister, spuck’s aus!«
Krister zögert. Das Verhör, das er zufällig auf Marias Aufnahmegerät gehört hatte, war zwar nicht gerade Allgemeingut, aber das hier war ja nur sein Bruder, der ihm eine freundliche Frage stellte.
»Das bleibt aber unter uns, okay?«
»Klar bleibt das unter uns«, bekräftigte Jens.
»Es ist eine Frau. Eine Blondine. Sie lag in einem Müllsack. Übel verbrannt. Sie hatte eine blaue Häkelmütze aus irgendeinem synthetischen Material an, das in der Hitze geschmolzen und ihr dann sozusagen übers Gesicht geflossen ist.«
»Verdammt, wie eklig! Wie kann man sich so was bloß angucken? Was erzählt Maria denn so, wenn sie nach Hause kommt?«
»Nicht viel.«
Als die Stimmen sich entfernt hatten und die Tür zur Herrentoilette zugeschlagen war, zog Erik Bergvall seinen Notizblock heraus und notierte sich alle Details des Gesprächs, an die er sich erinnern konnte. Von der Toilettenkabine aus hatte er sie durch den schmalen Türspalt beobachten können: Krister Wern und sein älterer Bruder Jens Wern, Vorsitzender des Gemeinderats – was für eine zuverlässige Quelle! Ohne größere Gewissensbisse ging Bergvall in den Garten hinaus und nahm über sein Handy Kontakt mit der Zeitungsredaktion auf.
Am nächsten Morgen war die Nachricht im ganzen Land verbreitet. Um halb fünf morgens wurde Kriminalinspektor Hartman vom diensthabenden Beamten geweckt. Das Fernsehen wolle für die Morgennachrichten
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