Schwarze Themse
Sie waren gezwungen, stehen zu bleiben und zu warten, bis ein Mann vier prächtige schwere Zugpferde rückwärts durch eine enge Einfahrt manövriert hatte, wobei der Rollwagen, dessen Räder über die Pflastersteine holperten, in einem engen Bogen auf die StraÃe bog. Der Mann ging mit äuÃerster Konzentration vor und sprach die ganze Zeit mit seinen Tieren.
Ein Küfer beschwerte sich bitter über ein Fass, das nicht seinen Vorstellungen entsprach. Für Monk war der Zorn dieses Mannes wie ein winziger Funke Normalität, ein Aufblitzen der Welt, die ihm aus den Händen zu gleiten schien, egal, wie fest er sich auch an sie klammerte. Er stand am Rande eines Abgrunds, die Pest drohte, alles zu vernichten; ihre Verbreitung zu verhindern war alles, woran er denken konnte. In der Welt des Küfers war ein schlecht geratenes Fass schon eine Katastrophe.
Er warf Durban einen Blick zu und sah in dessen Augen einen Widerschein seiner eigenen Gedanken. Es war ein Augenblick vollkommenen Verstehens.
Dann hatte der Rollwagen das Tor passiert, und Durban schritt wieder aus, Monk dicht auf seinen Fersen.
Es war eine ermüdende Angelegenheit, die benötigten Informationen zu erfragen, ohne Verdacht zu erregen oder â was noch schlimmer gewesen wäre â das Misstrauen, ihre Nachforschungen stünden im Zusammenhang mit einem Verbrechen. Ein Hauch davon, und die Männer würden nicht nur verschwinden, sie würden auch am ganzen Fluss keine Hilfe mehr bekommen, alle Türen wären ihnen verschlossen.
Durban war unglaublich geduldig, schnappte hier und dort etwas auf, und so war es früher Nachmittag, als sie aus dem
letzten Büro traten und alle Informationen hatten, derer sie habhaft werden würden: die Namen, Beschreibungen der drei Männer, die sie suchten, und was über ihre Herkunft, Lebensumstände und Vorlieben bekannt war.
Sie fingen in Gravesend an und arbeiteten sich den Fluss hinauf von einem Gasthaus zum nächsten vor, tranken hier ein halbes Pint Ale, aÃen dort eine Pastete und mischten sich unter die Männer. Sie redeten über Schiffe, Reisen, die sie schon gemacht oder von denen sie gehört hatten, und hielten stets die Ohren offen, ob nicht einer der Namen fiel, und sie spähten umher, ob nicht einer der Männer den Beschreibungen entsprach. Durban hatte alles entfernt, was ihn als Polizisten auswies. Seine Mütze hatte er in die Tasche gestopft und den Kragen ein wenig schief hochgeschlagen. Er sah aus wie ein Schiffsoffizier, der schon ein paar Monate zu lange an Land war. Sie hörten nichts, was von Belang war. Niemand hatte einen der Männer von der »Maude Idris« gesehen.
Kurz nach fünf schwand das helle, strahlende Licht, und die Sonne ging in einem Meer aus Feuer über dem Wasser unter und blendete die Augen, dass es wehtat, nach Westen zu schauen. Kleine Wellen auf der Wasseroberfläche reflektierten silberne und goldene Blitze und bezeichneten das Kielwasser der Barkassen.
Monk und Durban betraten ein weiteres Gasthaus, um etwas zu essen und sich ein wenig zu wärmen, denn der Wind drauÃen nahm zu. Dass es notwendig war, weiter Ausschau zu halten, bedurfte keiner Verständigung. Kein Gedanke an zu Hause und ein warmes Bett, jede Stunde zählte, und noch hatten sie keine Spur.
Sie aÃen schweigend, warfen sich ab und zu Blicke zu, lauschten den Gesprächen um sie herum, beobachteten, versuchten, kleine Bruchstückchen einer Unterhaltung aufzuschnappen, die sich namentlich auf einen Matrosen bezogen oder sich um jemanden drehte, der kürzlich von Afrika zurückgekommen war und ein neues Schiff suchte. Sie waren bereits
eine Dreiviertelstunde dort und wollten allmählich wieder aufbrechen, als Monk einen Mann trocken und stoÃweise husten hörte und merkte, dass er auch auf Gesprächsfetzen gelauscht hatte, in denen es um jemanden ging, der krank oder sogar gestorben war.
»Wohin gehen Männer, wenn sie krank sind?«, fragte er Durban kurz angebunden, als sie sich erhoben.
Durban drehte sich überrascht zu ihm um. »In ein Seemannsheim, wenn sie Glück haben, die anderen in irgendeine Absteige  â wer Pech hat, sucht sich irgendeinen Schlupfwinkel.«
Monk wusste inzwischen, wie froh mancher über diese billigen Unterkünfte war, um aus dem Regen heraus zu sein und die Wärme anderer Körper zu spüren. Egal, wie schmutzig oder verlaust das
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