Schwarze Themse
Mann mit grämlicher Miene. Der Ãltere hatte eine pockennarbige Haut, und an einer Hand fehlten ihm zwei Finger. Er war ein groÃer Schwätzer, begierig, jedem von seinen
Abenteuern zu erzählen. Er war um Kap Hoorn gesegelt und öfter als ein Mal wegen seiner Erinnerungen an die Stürme an dieser berüchtigten Küste â das tobende Wetter, Wellen wie Berge, Winde, die einem die Luft aus den Lungen saugten, Küsten wie Albträume, die an Mondlandschaften erinnerten â zum Essen eingeladen worden. Er hatte Feuerland im tosenden Sturm umrundet, und dort hatte auch ein loses Fall seinen Arm zertrümmert. Der Schiffsarzt hatte den Knochen durchgesägt und den Stumpf kauterisiert, dabei hatte er nur eine halbe Flasche Rum zum Betäuben bekommen und ein Stück Leder zum DraufbeiÃen.
Monk beobachtete die Miene des Mannes und dann Durban, der ihm zuhörte. Er erkannte viele Gefühle: Respekt vor seinem Mut, Ehrfurcht vor der GröÃe und der Gewalt des Meeres, der Verwegenheit von Männern, die hölzerne Boote bauten und Segel setzten. Es schien eine unglaubliche Hybris zu sein â obwohl Durban das Wort womöglich nicht vertraut war, verstand er sicher die Vorstellung von Sterblichen, die den Göttern trotzten, um aus den Händen des Himmels Ruhm und Ehre zu erlangen. Monk sah auch eine Zärtlichkeit und eine bereitwillige Geduld, hinter der er eine tiefere Bedeutung vermutete.
Als sie das Haus verlieÃen und an einem grauen, etwas milderen Morgen auf die StraÃe hinaustraten, stellte Monk die Frage, die ihm durch den Kopf ging.
»Ist Ihr Vater zur See gefahren?«
Durban schaute ihn zunächst überrascht und dann erfreut an. »Ziemlich deutlich, was?«
Monk erwiderte sein Lächeln. »Nur geraten.«
Durban sah nach vorn und wich Monks Blick aus, den er als zu bohrend empfand. »FünfunddreiÃig in der Irischen See ertrunken. Ich erinnere mich heute noch an den Tag, an dem man uns die Nachricht brachte.« Er sprach leise, aber in seiner Stimme lagen eine Sanftheit und ein Schmerz, die er nicht verhehlen konnte. »Ich nehme an, Familien von Seeleuten rechnen
immer halb damit, aber wenn man mit der Angst aufwächst und dann doch nichts passiert, braucht man lange, um zu glauben, dass es diesmal nicht nur ein Kratzer war. Die Angst ist zum Dauerzustand geworden, tagein, tagaus.« Er schob die Hände tiefer in die Taschen und ging schweigend weiter, denn er konnte davon ausgehen, dass Monk ihn ohne viele Worte und weitere Einzelheiten verstand.
Sie suchten weitere Absteigen auf, befragten StraÃenhändler, besuchten Bordelle, Tavernen und Pfandleiher. Niemand konnte ihnen weiterhelfen. Einer kannte sogar die Familie des Schiffsjungen, und für anderthalb Stunden flammte Hoffnung auf, dass sie endlich doch einen Durchbruch erzielt hatten.
Aber er war nicht dort, und seine Familie hatte auch nichts von ihm gehört, seit das Schiff vor fast acht Monaten in Richtung Afrika in See gestochen war. Als Durban sagte, dass die »Maude Idris« vor Anker lag und die Leute abgemustert hatten, waren sie verwirrt und besorgt.
»Mach dir keine Sorgen, Mutter«, sagte sein älterer Bruder leise. »Er ist erwachsen. Er wird sich amüsieren. Wenn er davon genug hat, kommt er schon heim. Gewiss bringt er dir was Besonderes aus Afrika mit.«
Sie verlieÃen die Familie in trüber Stimmung und wandten sich in südlicher Richtung den Fluss entlang. Der Druck und die Traurigkeit lasteten immer schwerer auf ihnen.
»Trafalgar«, sagte Durban, als er ein Schinkensandwich und ein Pint Ale in den Händen hielt. »Mein GroÃvater hat dort gekämpft. Nicht nur auf der âºHMS Victoryâ¹, aber er erinnert sich an Nelson.« Er lächelte ein wenig befangen. »Da wollte ich zur See gehen.«
Monk wartete. Es wäre taktlos zu fragen, warum er es nicht getan hatte, denn die Erinnerung konnte schmerzlich sein. Durban würde darüber sprechen, wenn er das wollte.
Sie erreichten wieder das Wasser. Das klare Licht vom Vortag war grau verschleiert, in der Ferne schmutzig, als Regenschauer erst einen Teil des Horizonts verbargen, dann einen
anderen. Es war nicht mehr so kalt, aber die Feuchtigkeit drang ihnen in die Knochen.
»Dann ist mein Bruder an Scharlachfieber gestorben«, sagte Durban einfach. »Also bin ich zu Hause geblieben.« Er richtete sich auf und ging zur StraÃe
Weitere Kostenlose Bücher