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Schwarze Tränen: Roman (German Edition)

Schwarze Tränen: Roman (German Edition)

Titel: Schwarze Tränen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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wie ihm geschah, hämmerte Lukas ihm den Einband des Buches quer über den Schädel. Ein Klirren war zu hören, wie Glas, das auf Stein zersprang – und plötzlich lief alles wie in Zeitlupe ab. Agrippa von Nettesheim kippte mit einem gurgelnden Laut gegen den hölzernen Baldachin des Bettes. Kristallsplitter rieselten wie Schneeflocken zu Boden. Und einen Augenblick lang glaubte Lukas das Schmettern von Posaunen zu vernehmen. Ihre Klänge erschütterten sein Innerstes zutiefst. Zugleich spürte er, wie sich seiner eine lange vergessene Gefühlsregung bemächtigte, die ihn vor Demut auf die Knie sinken ließ. Es war die Ahnung, dass er nicht grundlos lebte. Dass alles in der Schöpfung einen Sinn hatte.
    *
    Als Lukas wieder zu sich kam, lag Nettesheim reglos vor ihm am Boden. Aus einer Platzwunde am Kopf des Zauberers sickerte Blut. Lukas verharrte einige Sekunden lang in kompletter Starre. War der Alptraum jetzt vorbei? Und vor allem: Was sollte er jetzt tun? Nach dem Puls des Mannes tasten? Den Zimmerservice bitten, einen Notarzt zu rufen? Oder die Beine in die Hand nehmen und losrennen – fort aus diesem Zimmer, fort von diesem Wahnsinn, zurück nach Berlin? Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen, als er sah, wie sich die Platzwunde des Zauberers direkt vor seinen Augen wieder schloss.
    Er erhob sich panisch, starrte unentschlossen von dem reglosen Nettesheim zu dem Buch in seinen Händen und entdeckte zu seinem Erstaunen, dass der Edelstein im Bucheinband zersplittert war. Also doch nur ein billiger Schmuckstein? Noch einmal fiel sein Blick auf den Bewusstlosen, dann siegte die Neugierde. Er klappte das Buch auf und warf einen Blick auf die Pergamentseiten. Sie waren eng mit einer krakeligen Handschrift bekritzelt, zwischen denen die Zeichnungen von Pflanzen und alchimistischen Gerätschaften prangten. Weitere Seiten waren mit absonderlichen Symbolen gefüllt. Lukas traute seinen Augen nicht. Ohne Zweifel war dies ein altertümliches Zauberbuch. Nur dass der Einband jetzt mit seinen blutigen Fingerabdrücken befleckt war. Dem Aufdruck auf dem Einband zufolge stammte es wirklich von Doktor Faust. Das alles konnte doch unmöglich wahr sein! Wenn er nicht unter dem Einfluss von Drogen stand, war das eben die verdammt beste Illusion gewesen, die er je gesehen hatte. Der Fremde, das Zimmer, das Buch – all das fühlte sich so unglaublich echt an …
    Lukas schüttelte sich, als ihm bewusst wurde, dass die Pointe mit der versteckten Kamera, auf die er seit Auftauchen des Zauberers wartete, nicht kommen würde. Der bewusstlose Mann zu seinen Füßen war real. Seine Verletzungen waren real. Seine Schmerzen waren es auch. Und obschon die Ereignisse ihm absolut irreal erschienen, blieb nur eine logische Schlussfolgerung: Offenbar war auch diese Situation real – und mit ihr seine eigene, bodenlose Ratlosigkeit.
    Das Buch noch immer in der Hand, bemerkte er plötzlich, dass durch den Raum ein kühler Luftzug strich. Die Zimmerfenster standen weit offen, und der Nachtwind blähte die roten Vorhänge. Eigenartig. Niemand hatte die Läden geöffnet. Misstrauisch näherte er sich der Fensterfront und vernahm vom Himmel her ein schwaches Donnergrollen, dessen Hall vom Innenhof des Hotels verstärkt wurde. Draußen begann es zu regnen.
    »Nicht schlecht, Famulus. Agrippa hat dich offensichtlich unterschätzt.« Die lockende Stimme war plötzlich da. Nur kam sie nicht von draußen, sie erklang in seinem Rücken.
    Lukas wirbelte herum, doch das Dämmerlicht der Nachttischlampe beleuchtete lediglich den Zauberer, der noch immer am Boden lag. Schützend hielt Lukas den Folianten vor sich. »Wer spricht da?«
    »Die verdorbene Seele zu deinen Füßen hat mich stets ›Monsieur‹ genannt«, drang es aus den Schatten, »aber für gewöhnlich höre ich auf einen anderen Namen.« Aus dem Wandschrank sprang ein schwarzer Pudel, schüttelte sich und beschnüffelte gelangweilt den Bewusstlosen. »Meine Güte, der Kerl hat sich seit unserer letzten Begegnung um mindestens vierzig Jahre verjüngt. Und den besten Zwirn trägt er ebenfalls, dieser eitle Stutzer.« Der Pudel hob sein Bein und markierte den reglosen Körper in Höhe des Herzens. Dann sah er zu Lukas auf, dem es fast schien, als grinse das Tier, ehe es fortfuhr. »Unsterblichkeit wollen sie. Und die Geheimnisse der Schöpfung gleich mit dazu. Und womit verbringen sie dann ihre kostbare zusätzliche Lebensspanne? Sie verprassen ihr Vermögen und vertändeln sie mit ihren

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