Schwarze Tränen: Roman (German Edition)
Lukas wurde bleich. »Allmächtiger!«
»Komm schon, ich bitte dich.« In Mephistos Augen blitzte Ärger auf. »Du gehörst doch hoffentlich nicht zu den Narren, an denen das Zeitalter der Aufklärung spurlos vorübergezogen ist? Glaubst du wirklich, es gäbe einen allmächtigen Gott, der so dämlich wäre, bei all seiner Allmächtigkeit eine so unvollkommene Spezies wie euch Menschen zu erschaffen?« Er schnaubte abfällig und trottete zurück zu Nettesheims noch immer reglosem Körper. »Ihr sauft, hurt, stehlt, betrügt und mordet. Ganz so, wie es euch gefällt. Wenn es gut für euch läuft, schreibt ihr das stets Gott zu. Gott, der Schöpfer. Gott, der Vater. Gott, der Allmächtige.« Er schüttelte sich angewidert. »Aber wenn ihr erwischt werdet, wenn euch jemand für eure Taten zur Rechenschaft zieht, dann, plötzlich, heißt es, der Teufel hätte seine Finger im Spiel gehabt. Schau dich in der Welt um. Glaubst du wirklich, dass die Hölle für all das verantwortlich ist, was ihr Menschen euch untereinander antut? Als bedürfe es dafür unsereins.«
»Unsereins?« Lukas schnaubte. »An Gott soll ich nicht glauben, aber an die Hölle?«
»Ach, werden wir jetzt philosophisch?« Mephisto maß ihn mit hochmütigem Blick. »Also gut, nur mal angenommen, einen allmächtigen Schöpfer gäbe es. Dann müsste er doch, sagen wir einmal, einen Fels erschaffen können, der so schwer ist, dass er ihn selbst nicht mehr heben kann?«
Lukas runzelte die Stirn. »Na ja …«
»Ah, siehst du!« Der Pudel fletschte triumphierend die Zähne. »Und was ist dann mit seiner Allmächtigkeit? Ich sag’s dir: Es gibt keinen allmächtigen Gott! Es hat ihn nie gegeben, und es wird ihn nie geben. Ihr Sterblichen steht ganz allein da.«
Lukas starrte den Pudel nachdenklich an. »Wäre das nicht gerade ein Beweis seiner Allmächtigkeit? Weil es nichts gibt, das er nicht heben kann?«
»Meine Güte, geht es noch armseliger? Das ist ja ungefähr so, als würdest du die Frage nach dem Ursprung des Lichts damit beantworten, dass du den Lichtschalter angeknipst hast.« Der Pudel leckte sich wenig beeindruckt eine Teppichfluse aus dem lackschwarzen Fell.
»Wenn du existierst und damit auch die Hölle, dann muss das bedeuten, dass es auch Gott gibt.«
Mephisto furzte. »Na gut, eins zu null für dich. Wäre ansonsten wohl auch etwas zu einfach gewesen. Dennoch, an deiner Stelle würde ich mich nicht allzu sehr auf … Gott … verlassen. Denn … Gott … hat sich schon vor langer Zeit aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen. Weder wir noch die andere Seite wissen, was aus ihm wurde.«
»Das heißt, es gibt auch den Himmel?«
»Du meinst, abseits von dem, was du mit deinem Sukkubus erlebt hast?« Mephisto fletschte grinsend die Zähne. »Frag mich das ein anderes Mal. Im Augenblick sollten wir besser herausfinden, wie wir beide in diese Situation geraten sind. Du bist doch ebenfalls nicht freiwillig hier, oder?«
Lukas ließ Donnerkeil und Buch sinken und lutschte am Finger, der noch immer leicht blutete. Zumindest ließ der Schmerz allmählich nach. »Mit etwas Glück erwache ich gleich doch noch und frage mich, was sie mir auf der Straße für Dope angedreht haben. Aber wenn du schon fragst: Nein. Keine Ahnung.« Stockend schilderte er Mephisto, was er seit dem Morgen erlebt hatte.
»Dein Erbe also?« Der Pudel musterte interessiert den Höllenzwang. »Ich wittere an diesem Schinken nichts Außergewöhnliches. Und der alte Faust soll den Sukkubus persönlich geschickt haben?«
»Sylvia …« Lukas stockte, als die Erinnerung an das Ding unter der Decke mit voller Wucht zurückkehrte. »Diese … Dämonin sprach sogar davon, dass … Faust bald zurückkehren würde.«
»Von dort, wo seine verdammte Seele einsitzt? Unmöglich. Andererseits …« Mephisto lauschte wieder in sich. Ein tiefsitzender Groll blitzte in den Hundeaugen auf. Jäh ruckte sein Kopf zum Fenster herum. »Was auch immer hier vor sich geht«, knurrte er, »es lockt die anderen Zauberer an wie Blut die Haie. Ich spüre bereits, wie die nächste Schmeißfliege naht.«
Lukas trat alarmiert ans Fenster. Draußen schüttete es inzwischen wie aus Kübeln. Der Wind hatte ebenfalls aufgefrischt, doch viel beunruhigender war der Anblick, den der Nachthimmel bot. Die tief über Staufen hängenden Regenwolken zogen sich über dem Hotel zusammen wie das Auge eines Orkans. Auf gar keinen Fall ging das da oben mit rechten Dingen zu.
»Was soll ich tun?«
»Siehst du,
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