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Schwarze Tränen: Roman (German Edition)

Schwarze Tränen: Roman (German Edition)

Titel: Schwarze Tränen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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Tiefe.

Der Rosengarten zu Worms
    M ephisto?« Lukas glaubte zu schweben. Nebelfinger streiften sein Gesicht. Für einen Augenblick umfing ihn absolute Stille. Doch so übergangslos, wie das Gefühl der Leichtigkeit ihn durchströmt hatte, riss die Schwerkraft auch an ihm. Die Macht, die ihn verschluckt hatte, spie ihn ebenso plötzlich wieder aus, und er kippte vornüber. Lukas stürzte durch einen engen Tunnel, der ihm schier die Luft aus den Lungen presste, dem Licht entgegen. War das etwa Tageslicht?
    Japsend krachte er in eine Dornenhecke, und tatsächlich: Sonnenlicht blendete ihn, und es duftete intensiv nach Blüten. Abermals war ihm speiübel zumute. »Was zum Teufel …?«
    »Stets zu Diensten.« Mephisto hockte neben ihm und betrachtete verärgert die Reste des Höllenzwangs. Abgesehen vom Buchdeckel hingen nur noch zwei Dutzend Seiten an der Bindung. Der Rest war fort. »Hättest du nicht besser auf den Grimoire aufpassen können?«
    »Entschuldige, aber ich war zufällig damit beschäftigt, nicht von diesem Baummonster gefressen zu werden«, giftete Lukas zurück. Er wartete, bis die Übelkeit nachließ, dann befreite er sich von den Dornen und sah sich um. Auch hier befand sich neben ihm ein Ring aus fleischig-roten Pilzen, doch die übrige Szenerie hatte sich vollkommen verändert. Um ihn und den Pudel herum erstreckte sich ein verwilderter Garten von melancholischer Schönheit. Die Mittagssonne stand hoch am Himmel. Es war angenehm warm. Bienen summten über einen verkrauteten und von weißen Wasserrosen bedeckten Teich. Überall um sie herum ragten schwer tragende weiße, rote und rosafarbene Rosenstöcke auf; dazwischen lockten wuchernde Brombeerhecken mit reifen Früchten. Doch unweit einer brüchigen Gartenlaube, deren Säulen von Efeu und wildem Wein umrankt waren, befanden sich auch gepflegter wirkende Areale, auf denen aromatische Kräuter wie Kamille, Engelwurz und Rosmarin gediehen. Und ein allgegenwärtiges Vogelzwitschern erfüllte die Luft, das … Lukas stutzte und lauschte genauer, bis er wusste, was ihn störte. Das Zwitschern der Vögel klang – blechern. »Wo sind wir hier?« Lukas’ Blick fiel auf zwei dornenumrankte Statuen, die Ritter mit hoch erhobenen Schwertern zeigten.
    Mephisto hob den Kopf. »Im legendären Rosengarten zu Worms.«
    »In
Worms?
« Lukas riss die Augen auf. »Die Stadt liegt über zweihundert Kilometer nördlich von Staufen!«
    »Ein einfacher Höllenpakt, mein unbedarfter Famulus, und auch du wärest zu solchen Wundertaten imstande. Der Höllenzwang deines Ahnen wäre dir bei deiner Einführung in die dunklen Künste sicher ein guter Ratgeber gewesen.« Mephisto nickte in Richtung eines klobigen Gegenstands zu Füßen der Ranken – seinem Rucksack.
    Verblüfft starrte Lukas den Hund an. »Danke.«
    »Na, ich weiß doch, was sich gehört.« Der Pudel fletschte die Zähne zu der Parodie eines Lächelns. »Und jetzt, junger Famulus, haben wir lange genug gerastet. Wir müssen weiter. Komm mit.«
    Lukas, der zu erschöpft war, um nach dem Ziel ihrer Reise zu fragen, schulterte sein Gepäck und folgte dem Höllenhund, der ihn eine dick von Moosen überwucherte Steintreppe hinauf zu einem Plateau des Gartens führte. Von dort kam auch das blecherne Vogelgezwitscher.
    Unter dem ausladenden Blätterdach einer stattlichen Linde von rund fünfzehn Metern Höhe hielten sie inne. Lukas lehnte sich gegen den dicken, überaus kräftigen Stamm. Hoch über ihm rauschten die Blätter und spendeten willkommenen Schatten. Doch was war das? Auf den Ästen hockte ein gutes Dutzend kunstvoll geschmiedeter Metallvögel, deren Schnäbel im Takt ihres Gezwitschers klapperten. Lukas sah sich weiter um und erkannte, dass die Linde das Zentrum des weitläufigen Gartens bildete. Umgrenzt wurde das Gelände von einem Ring erhabener Marmorsäulen, deren blütenförmige Kapitelle mit leicht durchhängenden Seilen verbunden waren. Sie schimmerten in der Sonne wie gesponnenes Gold. Jenseits der goldenen Borden flirrte die Luft wie an einem heißen Sommertag. Dennoch konnte er in der Ferne Häuser, Dächer und Türme ausmachen. War das Worms? Der Anblick der Stadt erschien ihm unwirklich, als wäre entweder die Stadt oder der Garten selbst entrückt. Lukas tippte auf Letzteres. »Wo befinden wir uns hier?«
    Mephisto rollte mit den Augen. »Ist dir die Sage vom Wormser Rosengarten ein Begriff?«
    »Der … was?«
    »Darf ich daraus schließen, dass du nicht einmal die Nibelungensage

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