Schwarze Tränen: Roman (German Edition)
doch nirgendwo waren Frösche zu sehen.
»Haben wir es geschafft?«, rief er gegen den Fahrtwind an.
»Nein«, brüllte Mephisto, der argwöhnisch zurückblickte. »Aber die Kerze hat es hinter sich.«
Lukas warf einen Blick auf die erlöschende Kerze und sah kurz zurück auf das gespenstische Sturmauge über der Altstadt, das sich noch immer drehte und sich allmählich in ihre Richtung verlagerte. Na großartig.
»Rechts jetzt!«, herrschte ihn Mephisto an.
Abermals heulte die Kreidler auf. Lukas schwenkte in einen Neubau-Straßenzug ein, der auf die Weinberge vor Staufens Haustür zuführte. Der Abstand der Laternen am Straßenrand wurde größer, ein Zeichen dafür, dass sie sich rasch der Stadtgrenze näherten. Plötzlich war Lukas, als könne er über sich Flügelschlag vernehmen. Über einer der Laternen rauschte ein Schwarm Vögel vorbei. Krähen? Unwillkürlich musste er an die Aasfresser denken, die am Mittag vom Dach des Rathauses aufgestiegen waren.
Inzwischen hatten sie das letzte Haus hinter sich gelassen und ratterten auf einen Feldweg zu, der weiter hinauf auf den Weinberg führte. Erstmals schaltete Lukas die Scheinwerfer an. »Sollen wir uns hier verstecken?«
»Nein, wir müssen ganz nach oben, in den Wald«, knurrte der Pudel.
Über ihnen am Himmel flammte ein geisterhafter Blitz auf, der sich von jenseits des Weinberges bis über den Stadtkern Staufens verästelte. Ihm folgte lauter Donnerhall. Zugleich schien es Lukas so, als stemme sich das grelle Leuchten gegen das Sturmauge, das ihnen nachfolgte.
»Du solltest besser einen Zahn zulegen«, fauchte der Familarteufel.
Lukas entschloss sich zu einer Abkürzung und schwenkte kurzerhand direkt auf den Weinberg ein. Die Trauben an den Rebstöcken leuchteten im Scheinwerferlicht wie Blutstropfen. Mit Vollgas quälte er die erfreulich geländegängige Maschine den Hang hinauf, brauste, oben angelangt, einen weiteren schmalen Pfad entlang und wiederholte das Manöver bei zwei weiteren Hängen. Dann, endlich, tauchte vor ihnen die Waldgrenze auf. Lukas hatte keine Ahnung, wo genau sie sich befanden, aber von dem Berg aus hatten sie einen prachtvollen Blick auf das nächtlich beleuchtete Staufen – sah man von den dunklen Regenschleiern ab, die sich noch immer auf die Stadtmitte ergossen.
Mephisto hockte mit rotglühenden Augen vor ihm auf dem Tank und starrte voraus. »Weiter!«, forderte er. »Bis zu dem Feldweg da hinten. Und dann sieh zu, dass du die Maschine loswirst. Die Reifen sind voll mit Krötenschleim.«
Entsetzt starrte Lukas zu den Rädern und sah, dass der Teufel recht hatte. »Und das sagst du mir erst jetzt?«
»Alles eine Frage des Timings!« Mephisto lachte rauh und sprang vom Moped, kaum dass sie ihr Ziel erreicht hatten.
Lukas ließ die Kreidler auf dem Weg liegen, packte Buch und Rucksack und hetzte hinter Mephisto her in den Wald hinein. Dort war es stockfinster. Lukas verlor mehrfach fast das Gleichgewicht, während er sich durch Wurzeln und Unterholz vorwärtskämpfte. »Wohin laufen wir?«, keuchte er.
»Wie ich schon sagte«, knurrte der Pudel. »Ich muss einen Hexenring finden. Dem Kundigen dienen sie als Reiseportale. Und meine Nase sagt mir, dass wir auf dem richtigen Weg sind.«
»Ein Hexenring als Reiseportal, alles klar.« Lukas, dem der Schweiß in Bächen den Rücken hinunterlief, war erstaunt über seine eigene Souveränität. Aber ehrlich gesagt, war ihm inzwischen alles egal. Hauptsache, sie kamen von hier weg.
Mittlerweile hatten Lukas’ Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt, und so blieb er rechtzeitig stehen, als Mephisto plötzlich innehielt. Vor ihnen erstreckte sich eine von Farnen und vermoderten Baumstümpfen umgrenzte Lichtung, auf dem ein Ring aus Fliegenpilzen stand.
»Gerade noch rechtzeitig«, stellte der Pudel zufrieden fest. »Da ist er ja.«
»Wohl kaum.« Aus dem Geäst der Bäume stob laut krächzend ein Schwarm Krähen auf und formte sich am anderen Lichtungsrand zu einer dunklen Gestalt mit menschlichen Konturen und Zylinder. Von Nettesheim!
Lukas stöhnte. Der dandyhafte Zauberer trat auf die mondhelle Lichtung, wischte sich eine Feder vom Kaschmirumhang und funkelte ihn und seinen vierbeinigen Begleiter zornig an. »Habt ihr geschwätzigen Ratten geglaubt, ich kenne eure Pläne nicht?«
Mephisto knurrte drohend, doch Nettesheim zuckte bloß mit den Schultern. »Komm schon, Mephistopheles. Du willst mir drohen? Selbst
ich
spüre deine Veränderung. Und nebenbei bemerkt:
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