Schwarze Tränen: Roman (German Edition)
als nötig erweisen sollte, ihn zu Lebzeiten noch einmal aufzusuchen.«
»Na gut. Jetzt sind wir also hier. Aber was soll uns das bringen?«, fragte Lukas. »So, wie du das schilderst, hat Abraham von Worms allen Grund, wütend auf dich zu sein. Ich sehe nicht, warum er dir einen Gefallen tun sollte.«
»Warten wir es ab.« Mephisto setzte sich wieder auf. »Abraham hat nämlich einen Schwachpunkt. Vor einiger Zeit suchte eine junge Hexe bei ihm Zuflucht. Seitdem kümmert er sich um sie. Das kleine Luder hatte sich unseren, sagen wir mal, ›Steuereintreibern‹ entzogen. Ihre Seele wurde fällig, und da ist sie einfach ausgebüxt.«
Lukas hob interessiert die Brauen. »Ach, das ist möglich?«
»Vorsicht, Famulus. Gefährliches Terrain.« Mephisto fixierte ihn mit strengem Pudelblick. »Wichtig ist nur, dass sich die Kleine seitdem die Einöde ihres Lebens damit vertreibt, sich mit Abrahams Einwilligung um den Rosengarten zu kümmern. Ihr Name lautet Millepertia. Sie taucht hier stets zur Mittagszeit auf, um ihre Beete zu pflegen und Zauberkräuter zu ziehen.« Der Familarteufel seufzte. »Leider sind bislang alle meine Bemühungen, Abrahams und ihr gemeinsames Versteck aufzuspüren, gescheitert. Die Sache eilte ja nicht. Denn irgendwann krepiert schließlich jeder Zauberer und jede Hexe. Dann fahren ihre Seelen unweigerlich in die Hölle ein. Jetzt allerdings hat sich die Situation geändert. Du steckst in Lebensgefahr. Und ich bin deinetwegen sehr besorgt.« Mit treuem Hundeblick sah Mephisto zu ihm auf.
»Hör auf, mich zu verscheißern!« Wütend rückte Lukas von dem Pudel ab. »Was wollen wir hier wirklich?«
»Ehrlich, ich sorge mich um dich.« Mephistopheles zwinkerte ihm zu. »Wir werden die süße Millepertia dazu bringen, bei Abraham um Asyl für dich zu bitten. Wir appellieren am besten an ihre Nächstenliebe.«
»Nächstenliebe?« Lukas lachte ungläubig, als ihm das Zwiegespräch zwischen Mephisto und Nettesheim wieder in den Sinn kam. »Nein, mein Lieber, es geht nicht um mich. Es geht auch nicht um diese Hexe mit dem selten dämlichen Namen. Du bist es, der Abrahams Hilfe braucht!«
Der Teufel in Pudelgestalt knurrte. »Wir wollen mal nicht dramatisieren. Ja, es stimmt, ich habe nichts gegen seine Unterstützung einzuwenden. Aber vor allem geht es mir um deine Sicherheit.«
»Aha. Und was hat es dann mit deinem angeblichen Schwächeanfall auf …« Lukas kam nicht dazu, seine Frage zu beenden, denn die blechernen Vögel über ihnen veränderten ihre Melodie. Jetzt trällerten sie laut und durchdringend.
Mephisto sprang auf. »Schnell, mir nach. Da kommt sie.« Der schwarze Pudel zerrte an seinem Hosenbein.
Lukas folgte ihm unwillig hinter den dicken Stamm der Linde. Aus dem Versteck heraus beobachtete er, wie die Ranken der Heckenrosen am Rande des Gartens in Bewegung gerieten. Die dornigen Zweige schraubten sich fast drei Meter empor, teilten sich knisternd und formten innerhalb weniger Augenblicke einen kunstvollen Portalbogen. An den verschlungenen Ranken öffneten sich Hunderte Knospen. Kaum waren die Rosen erblüht, schritt eine schlanke Frau durch die Öffnung, die Lukas auf höchstens Ende zwanzig schätzte. Ihr weizengelbes, hüftlanges Haar rahmte ein hageres Gesicht mit hochstehenden Wangenknochen, und die Jeans und die grüne Bluse, die sie trug, ließen sie auf die Ferne noch blasser wirken, als sie vermutlich eh war. Millepertias Körper besaß nicht Sylvias verschwenderische laszive Weiblichkeit, aber sie hatte etwas an sich, das ihn ansprach.
»Na, gefällt sie dir?«
Lukas sah fassungslos an sich herab. Rubbelte sich dieser gottverdammte Pudel tatsächlich an seinem Bein? »Lass das!«, zischte Lukas und schüttelte den übertrieben hechelnden Hund ab.
Mephisto grinste breit und schleckte sich über die Nasenspitze.
Die junge Frau hielt einen Weidenkorb im Arm, streifte mit der Rechten über die Rosen am Wegesrand, roch lächelnd an einer der Blüten, schritt dann ohne Eile zu einem der Kräuterbeete und bückte sich.
»Na, dann wollen wir mal.« Bevor Lukas es verhindern konnte, jagte der schwarze Pudel zwischen die Büsche.
Zögernd trat Lukas hinter dem Stamm hervor, um die Szenerie aus sicherer Entfernung zu beobachten.
»Deine gebückte, demütige Haltung gefällt mir, Mille!«, hörte er Mephistos vor Anzüglichkeit triefende Stimme.
Mit einem Aufschrei wirbelte die junge Frau herum und ließ den Korb fallen. Dann fiel ihr Blick auf den Pudel. Sie keuchte.
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