Schwarze Tränen: Roman (German Edition)
Weiß der Jungspund neben dir, dass
ich
es war, der ihn auf der Fahrt davor bewahrt hat, von Zähnen und Klauen zerfetzt zu werden? Nicht? Das sieht dir ähnlich. Du und ich wissen, dass du nur ein Schatten deiner selbst bist. Nicht mehr als der räudige Köter, in dessen Gestalt du uns Sterbliche seit Jahrtausenden heimsuchst.« Der Zauberer wartete eine Antwort des Teufels erst gar nicht ab, sondern wandte sich Lukas zu. »Und jetzt her mit dir, Junge. Der da«, er spuckte in Richtung des Pudels, »kann dir nicht helfen.«
Lukas umklammerte das Buch und sah unschlüssig zwischen Zauberer und Hund hin und her. Keiner von beiden erschein ihm vertrauenswürdig, aber im Gegensatz zu dem Zauberer hatte der Pudel bislang zumindest noch nicht versucht, ihn umzubringen.
»Rühr dich ja nicht vom Fleck.« In Mephistos Augen loderte ein unheimliches Feuer auf, und Agrippa von Nettesheim zuckte zusammen, als der Familarteufel bis dicht an den Kreis aus Pilzen herantrat. »Ich warne dich, Agrippa. Du solltest dir gut überlegen, mit wem du dich anlegst.«
Die Lippen des Magiers bebten, doch dann kehrte der Hochmut in seine Züge zurück. Er deutete eine Verbeugung an und lüpfte dabei kurz seinen Zylinder. »Wohlan denn, Monsieur. Zeigt mir gern, wie Ihr es anstellen wollt, am Ende nicht wie ein begossener Pudel dazustehen.« Von Nettesheim warf die Arme gen Himmel und wisperte etwas auf Latein. Im gleichen Moment schlug ihnen aus dem Wald dumpfes Geheul entgegen. Gleich drei der Bäume rings der Lichtung durchliefen eine hässliche Metamorphose. Knisternd und krachend verwandelten sie sich vor Lukas’ Augen in große, holzige Ungeheuer, die am ganzen Körper behaart waren wie räudige Füchse. Aus Astlöchern quollen nachtschwarze Augen, die wie Kohlen in einem Schmiedebecken glühten. Das Blätterkleid welkte und legte sich wie strähniges Altweiberhaar um verzerrte Fratzen, die sich unter der Rinde hervorwölbten.
»Aufpassen! Das sind Fänggen!« Mephistos Fell sträubte sich. »Diese Walddämonen fressen Menschenfleisch!«
Knirschend formten sich die Äste zu langen, ungelenken Armen mit spinnenbeinartigen Fingern. An den einstigen Stämmen klafften Fressmäuler auf, deren wulstige Lippen wie geborsten wirkten.
»Greift sie euch!«, brüllte Nettesheim. »Bringt mir den Grimoire!«
Ein langgezogenes Heulen erklang, als der erste der Fänggen seine Wurzeln aus dem Boden riss und mit schweren Schritten auf sie zustampfte.
Lukas schrie auf und beobachtete starr vor Angst, wie Mephistos Pudelgestalt zähnefletschend in die Höhe wuchs. Wie eine Bulldogge mit rotglühenden Augen baute er sich vor dem ersten Walddämon auf und fixierte ihn. Das grässliche Baummonster winselte kläglich, riss den Astarm vor die Rindenfratze und wich vor ihm zurück. Doch auch die anderen beiden Fänggen brachen jetzt aus der Erde. »Du weißt, wer vor dir steht«, donnerte Mephistos Befehl über die Lichtung. »Gehorche!«
Die grässliche, noch immer in seinem Bann stehende Baumkreatur wirbelte herum und hieb ohne Vorwarnung nach einem der beiden anderen Fänggen. Das Geräusch brechenden Holzes erfüllte die Lichtung, als die Baumdämonen aufeinanderprallten und ineinander verkeilt in den Wald stürzten.
»Famulus, her mit dir!« Mephisto, jetzt wieder in harmloser Pudelgestalt, berührte einen der Fliegenpilze. Die Pilze des Hexenrings erstrahlten nach und nach in sattem Purpurrot. Ein geisterhafter Wind kam auf.
»Auseinander, elendes Dämonenpack!«, keifte von Nettesheim auf der anderen Seite der Lichtung. »Ihr gehorcht mir. Mir allein!«
Lukas rannte los und sah den dritten Fänggen erst, als es fast zu spät war. Ein mächtiger Asthieb fegte ihn von den Beinen und schleuderte ihn hart gegen einen Baum. Schon krallten sich Astzweige um seinen Rucksack und wuchteten ihn kopfüber in die Höhe. Panisch schrie er auf, löste die Gurte und stürzte zurück auf den Waldboden. Unweit von ihm lag aufgeschlagen Fausts Höllenzwang. Der Wind fuhr über die raschelnden Seiten.
»Rüber zum Hexenring!«, bellte Mephisto. Inmitten des purpurrot leuchtenden Pilzkreises waberte die Luft wie über einem Backofen.
Lukas mühte sich hoch, packte den Folianten am Bucheinband und wollte zum Pilzring rennen, doch da war Nettesheim bereits heran und griff zu. Wütend zerrten sie beide an dem Zauberbuch – als der Höllenzwang mit einem hässlichen Laut entzweiriss. Schreiend kippte Lukas hintüber, stolperte – und stürzte in die
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