Schwarze Tränen: Roman (German Edition)
ich habe Fragen. Bis gestern hätte ich die Existenz von Zauberern und Hexen schlichtweg geleugnet.«
Millepertia trat einen Schritt vor, und in ihre faszinierenden grünen Augen schlich sich ein forschender, fast kämpferischer Ausdruck. »Wir werden sehen. Also?«
Lukas atmete tief ein straffte sich. »Ich bin sechsundzwanzig Jahre alt und komme ursprünglich aus Bremen. Ich habe eine abgebrochene Lehre als Bankkaufmann hinter mir, in Heidelberg ein paar Jahre Geschichte und Psychologie studiert und war ansonsten auf Mittelaltermärkten und Straßenfestivals unterwegs. Zuletzt habe ich mein Glück in Berlin gesucht.«
»Du hast studiert?«
Lukas nickte knapp und starrte Millepertia weiterhin unverwandt an. »Fünf Semester. War nichts für mich.«
»Und was treibst du jetzt?«
Lukas setzte sein charmantestes Lächeln auf, griff sich in die Hosentasche und präsentierte eine Münze, während er ihr gleichzeitig beide Handflächen entgegenhielt. »Schau gut hin.« Kurz rieb er sich die Hände und öffnete diese wieder. Die Münze war fort.
»Verflucht, wie hast du das angestellt?« Millepertias blasses Gesicht verfinsterte sich. »Bist du etwa doch im Bunde mit …?«
»Hey, mach mal halblang. Das war ein Trick.« Lukas wiederholte die kleine Vorstellung und zeigte ihr jetzt, wie er sie abgelenkt und die Münze heimlich verborgen hatte.
Verblüfft öffnete sie den Mund. »Und davon kann man leben?«
»Na ja, mehr schlecht als recht.« Lukas zuckte mit den Schultern. »Eigentlich träume ich davon, eines Tages als Bühnenmagier groß rauszukommen. Deswegen war ich ja in Berlin. Varieté, du verstehst? Das ist für mich das Größte. Ich hab auch schon an ein paar großen Tricks gearbeitet. Leider haben sie mir den Lagerraum in Berlin ausgeräumt, bevor ich durchstarten konnte. Ehrenschulden.«
Millepertia runzelte die Stirn. »Ehrenschulden?«
»Schulden halt.« Lukas ärgerte sich, dass er das Thema überhaupt angeschnitten hatte.
»Du hast also Glücksspiel betrieben?«
»Na ja, mit Glück hatte das nicht so viel zu tun.« Er lachte verständnisheischend und fragte sich zugleich, wie er überhaupt dazu kam, ihr davon zu erzählen.
»Du hast also falschgespielt und deine Mitspieler betrogen?«, bohrte Millepertia weiter. »Und die haben dir dafür deine Sachen weggenommen?«
»Herrje, das waren Arschlöcher, die es nicht besser verdient hatten. Ich weiß bis heute nicht, wie sie mir auf die Schliche gekommen sind. Außerdem hatten sie mich zuvor selbst reingelegt. Das Geld stammte aus dem Verkauf von Motorrädern, die wir gestohlen und an einen Zwischenhändler verkauft hatten. Nur haben mich die Mistkerle zuvor um meinen Anteil betro…« Lukas hielt perplex inne. Hatte er jetzt tatsächlich die Sache mit den Motorrädern erwähnt? »Aber das war nur eine kurze Episode in meinem Leben«, versuchte er den Ausrutscher hastig wettzumachen. »Nachdem sie mich aus der Uni rausgeschmissen hatten, stand ich auf der Straße. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Meine letzte Kohle war für den Arsch draufgegangen, der für mich zu den Prüfungsarbeiten gegangen ist. Nur hat sich der Idiot erwischen lassen.« Verflucht, was tat er da? Er redete sich zunehmend um Kopf und Kragen.
»Und du hast wirklich keinen Höllenpakt geschlossen?«
»Nein!« Lukas schrie die letzte Antwort.
Das geheimnisvolle Funkeln in Millepertias Augen erlosch, und Lukas begriff, dass sie ihn reingelegt hatte.
»Hexenblick!«, erklärte sie schnippisch. »Ich sagte doch, dass es Wege gibt, dir die Wahrheit zu entlocken. Ich kümmere mich dann mal ums Essen.«
Fassungslos sah Lukas ihr nach und kam sich auf gewisse Weise ebenso benutzt vor wie zuvor von dem Sukkubus. Miststück. Einen Moment lang gaukelte ihm seine Phantasie einen lodernden Scheiterhaufen vor. Der Gedanke erwärmte ihn. Das würde er ihr noch heimzahlen!
Wütend schleuderte er seine Jacke aufs Bett und trat ans Fenster. Die rauchigen Zahlen, die auch hier in die Scheiben eingelassen waren, schmälerten nicht den atemberaubenden Anblick, der sich ihm bot. Unter ihm spannte sich das rote Dächermeer von Worms bis zum Horizont. Er konnte sogar die Türme des Doms erkennen. Selbst der Rhein war zu erahnen. Kurz erwog er, sich umzuziehen und einfach abzuhauen. Dass diese Teufelsanbeter dann sein Gedächtnis manipulieren würden, war ihm völlig egal. Doch was sollte er tun, wenn ihn seine Verfolger fanden? Er war müde, er war hungrig, und er wollte endlich
Weitere Kostenlose Bücher