Schwarze Tränen: Roman (German Edition)
unserer Welt. Die meisten von ihnen halten sich zurück und hoffen auf die Gnade des Himmels, doch manche von ihnen ähneln zunehmend Teufeln und Dämonen. Gier und Rachsucht treibt sie, und sie lassen sich nur allzu gern für Untaten aller Art einspannen.«
Lukas, der bei den Ausführungen unwillkürlich an den Quartband mit der Abbildung des Rosengartens und dem seltsamen Zwerg denken musste, richtete sich gespannt auf. »Sie sind nicht der Erste, der einen Unterschied zwischen Teufeln und Dämonen macht. Auch …
er
… tat das. Aber ich begreife nicht, warum?«
»Sehr gut.« Abraham von Worm nickte wohlwollend. »Ich sehe, Ihr habt trotz der turbulenten Ereignisse gut zugehört. Ist Euch bei der Legende vom Höllensturz nichts aufgefallen?«
»Nein. Sollte es das?«
»Ja. Denn darin war nicht davon die Rede, dass die Engel die Hölle erst
erschaffen
mussten. Sie existierte bereits.«
Lukas hielt im Kauen inne. »Sie
existierte
bereits?«
»Allerdings. Und zwar vermutlich schon lange vor der Schöpfung unserer Welt.« Abraham von Worms legte die Fingerspitzen aufeinander. »Ist Euch die Zohar ein Begriff?«
»Den Namen habe ich schon gehört. Hat, soweit ich weiß, irgendetwas mit der Kabbala zu tun. Die alte und mystische Tradition des Judentums, mit der auch Sie sich angeblich beschäftigen.«
Der Zauberer nickte. »Ganz in Übereinstimmung mit der Tora versuchen die verschiedenen kabbalistischen Traditionen dem Wesen Gottes und der Engel näherzukommen. Die Zohar wiederum ist das bedeutendste Schriftwerk der Kabbala. Und nach der Zohar-Auslegung des Ersten Buches Mose hat Gott vor der Schöpfung unserer Welt andere Welten erschaffen, diese aber wegen ihrer Unvollkommenheit wieder zerstört. Bis auf eine, die als geborstenes Fragment zurückblieb. Wir vermuten, dass es sich bei dieser Domäne um die Hölle handelt.«
»Das ist nicht Ihr Ernst?« Lukas verschluckte sich fast. »Und das Himmelsreich ist dann ebenfalls eine dieser Welten?«
»Wer weiß das schon so genau?« Abraham hob vielsagend seine buschigen Brauen. »Die Hölle jedenfalls hatte bereits Bewohner. Und diese nennen wir Dämonen. Jene Engel hingegen, die gemeinsam mit Luzifer in dieses Reich verbannt wurden, nennen wir Teufel. Seit dem Höllensturz haben sie dort die Macht an sich gerissen. Allerdings unterscheiden sich Teufel und Dämonen nicht maßgeblich voneinander. Sie alle lassen sich von Kundigen beschwören. Und sie alle trachten danach, uns Menschen zu verderben, wenn es ihnen schon nicht anders gelingt, unsere Welt zu zerstören.«
Lukas sah Zauberer und Hexe aufmerksam an. »Und das kann jeder? Ich meine, sich Teufel und Dämonen dienstbar zu machen?«
»Ja und nein.« Abraham seufzte. »Kleinere Manipulationen der Wirklichkeit sind unter richtiger Anleitung jedem möglich. Solche Hexereien habt Ihr selbst bereits durchgeführt.«
»
Was
habe ich?«
»Ich rede von der Schauerkerze, die Ihr nach eigener Aussage angefertigt habt. Bei diesen Dingen handelt es sich um Brosamen, mit denen die Ausgeburten der Hölle uns Sterbliche ködern, um unsere Seelen an sich zu binden. Denn in jedem von uns brennt ein göttlicher Funke. Es heißt, er erstrahle umso heller, je mehr man liebt. Von diesem Licht nähren sich all diese Entitäten.«
»Moment.« Lukas schüttelte den Kopf. »Teufel und Dämonen suchen unsere Liebe?«
»Nein, keinesfalls. Ich habe mich offenbar etwas unglücklich ausgedrückt. Dem Höllengesindel ist Liebe so fern wie ein Gebirgskiesel dem Meer.« Aus der Stimme des Zauberers sprach Verbitterung. »Tatsächlich gibt es noch etwas, das den göttlichen Funken in uns zu entfachen vermag. Oder sollte ich besser sagen: zu erschüttern? Nämlich Leid, Unglück und Qualen. Aus diesem Grund trachten die Bewohner der Hölle danach, unsere Seelen einzufangen und in ihren Seelenmühlen zu zermahlen. Das nämlich erwartet uns Sünder nach dem Tod in der Hölle.«
»Aber wenn es den Himmel gibt, wieso lässt er so etwas zu?«
»Weil uns der freie Wille gegeben wurde«, erklärte Millepertia. Ihre grünen Augen funkelten trotzig. »Wir haben es selbst in der Hand, für welche Seite wir uns im Leben entscheiden.«
Lukas war noch immer nicht überzeugt. »Aber wenn man so leicht abrutschen kann, warum dann der ganze Aufwand mit diesen Höllenpakten?«
»Verwechselt die Hölle besser nicht mit dem Fegefeuer«, korrigierte ihn Abraham. »Letzteres ist der Ort, an den die meisten Sünder nach ihrem Tod gelangen. Dort
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