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Schwarze Tränen: Roman (German Edition)

Schwarze Tränen: Roman (German Edition)

Titel: Schwarze Tränen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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noch immer in Händen, zurück zum Gartenrand.
    Millepertia griff nach ihrem Korb und folgte ihm. Nach einigen Metern wandte sie sich zu Lukas um und fuhr ihn an. »Was ist? Willst du hier Wurzeln schlagen?«
    Er deutete unbehaglich auf die Rosenpforte und dachte an die schreckliche Übelkeit, die er gerade erst überwunden hatte. »Das ist doch schon wieder so ein magisches Portal, oder?«
    »Du kannst natürlich gern auf den Bus warten.« Millepertias Stimme klang ungehalten. »Allerdings befürchte ich, hier hält keiner.«

Himmel und Hölle
    A uf der anderen Seite des Portals fand sich Lukas auf einer kastaniengesäumten Allee wieder und stellte voller Genugtuung fest, dass die Übelkeit diesmal ausgeblieben war. Offenbar gewöhnte er sich langsam an diese Art zu reisen. Er folgte Abraham von Worms und Millepertia zu einer Bushaltestelle. Niemand nahm Notiz von ihnen oder wunderte sich über den seltsamen Aufzug des Magiers. Es dauerte nicht lange, bis Lukas den Grund dafür erfuhr. Als der völlig überfüllte Omnibus hielt, zückte der Zauberer einen goldenen Anhänger, der Lukas entfernt an das Modell eines Atoms mit seinen Elektronenringen erinnerte. Wahrscheinlicher aber war, dass das Kleinod einer miniaturisierten Armillarsphäre nachempfunden war, wie sie in den Stuben alter Astronomen gestanden hatten. Der Zauberer pustete gegen die Ringe. Schon schwirrten und drehten sich die goldenen Reifen um einen Bernstein in ihrer Mitte. Auf unerklärliche Weise sorgte das seltsame Instrument nicht bloß dafür, dass sie niemand bemerkte, sondern zauberte ihnen auch einen Sitzplatz aus dem Nichts. Denn als Abraham von Worms den Anhänger hob, rückten zwei der Bänke rechts von ihnen unbemerkt von den dort sitzenden Passagieren auseinander. Eine weitere Sitzbank schob sich in den entstandenen Zwischenraum, als wäre sie schon immer da gewesen.
    »Nichteuklidische Geomantie!«, brummte der Zauberer und setzte sich ungerührt ans Fenster, wo er erneut in dem Höllenzwang zu blättern begann.
    Lukas rutschte neben Millepertia auf die Sitzbank.
    Als sie schließlich am Karlsplatz ausstiegen, sah er sich aufmerksam um. Das geheime Domizil des Zauberers und der Hexe lag im Westen der Stadt und war derart exponiert, dass Lukas zunächst seinen Augen nicht traute. Sprachlos starrte er auf den wuchtigen, an die sechzig Meter hohen Wasserturm, der mit seinem Spitzdach, den himmelwärts strebenden Erkern und der von gotischen Fenstern durchbrochenen Außengalerie mehr an einen trutzigen Wehrturm denn an einen Zweckbau erinnerte.
    »Beeindruckend«, murmelte er.
    »Nibelungenstil«, antwortete Abraham von Worms. »So jedenfalls hat der damalige Architekt die Bauweise bezeichnet.«
    Lukas hielt die Bezeichnung für etwas hochgegriffen, lauschte aber dennoch aufmerksam, als der Zauberer fortfuhr. »Tatsächlich ist das Gebäude nur wenig mehr als hundertzwanzig Jahre alt. Als er aufgegeben wurde, entstanden in dem Turm reguläre Wohnungen, aber durch eine kleine geomantische Spielerei habe ich dafür gesorgt, dass niemand von uns als Untermietern erfahren hat.«
    »So wie eben im Bus?«
    »Sozusagen.« Erstmals kräuselten sich die Lippen des Alten zu einem Lächeln. »Nur in etwas größerem Stil.«
    Sie marschierten durch den Verkehrslärm auf das breite Sockelgeschoss des Turmes zu. Lukas entdeckte etwa auf halber Höhe zwischen Eingang und Turmspitze ein steinernes Stadtwappen. Es zeigte zwei Drachen, die den Stadtschlüssel in den Klauen hielten. Millepertia klatschte zweimal in die Hände, und unvermittelt blitzte der Schlüssel metallisch auf. Bewegung kam in die Plastik, und einer der Drachen löste sich von der Turmwand.
    Lukas trat erschrocken zurück, als das Monstrum auf breiten Schwingen zu ihnen in die Tiefe segelte.
    »Ein Golem«, klärte ihn Millepertia auf und nahm der Kreatur den Schlüssel ab. Der Schädel des lehmigen Drachen ruckte zu Lukas herum und knirschte drohend mit den Zähnen. Dann stieg das unheimliche Geschöpf wieder zur Turmwand auf und gesellte sich zu seinem geflügelten Kameraden.
    »Ein
Golem?!
« Lukas schnappte hörbar nach Luft. Natürlich kannte er die berühmte Erzählung des Rabbi Löw aus Prag, der mit seinen kabbalistischen Kräften einen menschenähnlichen Golem aus Lehm erschaffen hatte. Dass diese Geschöpfe aber auch in anderer Gestalt wirklich existierten … hätte er sich inzwischen eigentlich selbst denken können. Es wurde immer irrwitziger.
    »Es wäre von Vorteil, wenn

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