Schwarze Tränen: Roman (German Edition)
bitter. »Wir … er hat sich damit abgefunden. Und jetzt kommst du und bringst alles durcheinander.«
Lukas betrachtete sie aufmerksam: »Also gibt es Engel?«
»Abraham ist davon überzeugt.« Millepertia schnaubte verächtlich. »Das Schicksal von uns Sterblichen scheint sie allerdings nicht zu kümmern. Denn sie zeigen sich nicht.«
»Und du? Teilst du Abrahams Überzeugung?«
»Falls es Engel gibt, interessieren sie mich nicht. Sie waren nie da, als ich sie brauchte.«
»Dann bist du bei deinem Höllenpakt also nicht reingelegt worden?«
Es dauerte eine Weile, bis Millepertia antwortete. »Nein. Ich habe der Unterwelt meine Seele ganz offen angeboten.«
»Aber warum?« Lukas schüttelte verständnislos den Kopf. »Für Reichtum? Macht? Ruhm?«
»Nein. Aus Rache!« Ihre Augen blitzten. »Das war 1635 , während des Krieges, den ihr heute den Dreißigjährigen nennt. Die Schweden mussten sich aus Worms zurückziehen und zogen plündernd und brandschatzend über das Land. Sie töteten meinen Vater und alle, die ich kannte. Meine Tochter Sophie und ich waren die Einzigen, die entkamen. Der Teufel sorgte dafür, dass alle Söldner an einem grausamen Fieber starben. Leider hat mich Satan betrogen. Er brachte mich wegen einer Nichtigkeit dazu, zum Ort des Leids zurückzukehren. Dort erkrankte auch Sophie. Sie starb nur wenig später. Jetzt ist es zu spät für Reue. Warum mich das Schicksal mit Abraham zusammengebracht hat, weiß ich nicht, aber jetzt kümmere ich mich um ihn. Niemand war je so gut zu mir wie er.«
»Und der Vater deiner Tochter?«
»Ich wüsste nicht, was dich das angeht«, blaffte sie, fügte dann jedoch, leiser jetzt, hinzu: »Zu dem Zeitpunkt war er schon tot.«
»Das tut mir sehr leid … Mille«, sagte Lukas. Dieses Mal widersprach sie nicht. Ein kleiner Fortschritt, wie Lukas fand. Nach einer kleinen Pause fuhr er fort: »Dennoch kann ich nicht glauben, dass
er
mich ausgerechnet zu dem einzigen Zauberer mit reinen Absichten geführt haben soll.«
»Es ist mir egal, was du denkst. Merke dir einfach Folgendes: Wer Abraham etwas zuleide tut, den töte ich! Und jetzt …«
Ein unheimlicher Klang mischte sich in die Wind- und Regengeräusche vor den Turmmauern. Er erinnerte Lukas entfernt an das Schmettern eines Jagdhorns. »Was war das?«
Auch Millepertia ruckte zu den Fenstern herum. »Keine Ahnung.«
Mit einem unguten Gefühl ging er an ihr vorbei, presste sein Gesicht gegen die Scheiben – und erstarrte. Die Wolken über dem Turm hatten sich zu einem Sturmauge formiert, wie er es bereits in Staufen gesehen hatte. »Das ist der gleiche Sturm wie gestern Nacht!«, keuchte er.
»Unmöglich. Der Turm ist magisch gesichert. Wir sind unauffind…« Jetzt entdeckte auch sie die unzähligen am Nachthimmel tanzenden Lichterpaare, die rasend schnell näher kamen. Waren das glühende Augen? Inmitten des Sturmgeheuls meinte er nun Hundegebell zu hören, dem sich ein fernes Wiehern anschloss. Abermals erklang das Jagdhorn.
»Oh nein!«, rief Millepertia entsetzt. »Das ist die Wilde Jagd!«
»Die was?«
»Eine Meute aus Dämonen und dunklen Alben, deren einziges Ziel das Töten und Verschleppen Sterblicher ist.« Sie packte ihn am Arm und riss ihn mit sich, als gleich mehrere der rauchigen Zahlen in den Scheiben aufglühten.
Durch den Turm hallte ein Alarmton wie ein Fanfarenstoß. Doch es war zu spät. Wütendes Gebell umtoste den Wintergarten. Lukas glaubte jenseits der Fenster eine grässlich lachende Gestalt mit langen strähnigen Haaren vorbeirauschen zu sehen, der ein Geisterzug grausiger Kreaturen folgte, die unter lautem Schreien, Johlen, Heulen, Jammern, Ächzen und Stöhnen auf den Turm zuwogten. Schwere Körper krachten von außen gegen die Fenster, und die magischen Schutzzeichen im Glas glühten noch stärker auf – bis eine der Scheiben unter dem Ansturm barst. Ein vierbeiniges Hundewesen mit glühend roten Augen, fahlweißem, räudigem Fell und Reißzähnen wie ein Hai rollte unter lautem Splittern über die Beete und versperrte ihnen knurrend den Weg.
Millepertia biss sich mit einem wütenden Aufschrei in die Hand und vollführte mit dieser eine schnelle, ausladende Bewegung. Blut spritzte aus der Wunde, und Lukas traute seinen Augen nicht. Ihr Blut war grün! Wo es auftraf, schraubten sich binnen Sekunden wippende Pflanzen mit eiförmigen Blättern aus dem Untergrund, an deren Enden sich goldgelbe Blüten entfalteten. Auch der Höllenhund wurde von den Blutstropfen
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