Schwarze Tränen: Roman (German Edition)
vorgesehen?
Lukas befürchtete, keine gute.
Die Wilde Jagd
A ls Lukas hochschreckte, brauchte er eine Weile, bis er begriff, dass er noch immer auf dem engen Kastenbett im Turmzimmer lag. Es war dunkel, und draußen regnete es mal wieder. Seine Hoffnungen, bloß einen bösen Traum durchlebt zu haben, zerstoben. Mühsam quälte er sich in die Senkrechte und bemerkte, dass er noch immer angezogen war. Ein Blick auf die Leuchtziffern seiner Uhr verriet ihm, dass er fast neun Stunden in tiefem, traumlosem Schaf verbracht hatte. Dann aber hatte ihn etwas geweckt. Lukas lauschte und glaubte inmitten der Regengeräusche ein gedämpftes Klatschen zu hören. Er griff zu seinem Smartphone und betätigte die Licht-App. Der helle Schein riss Bettkasten, Tisch, Hocker und Schrank aus der Dunkelheit, und ihm fiel auf, dass sein Rucksack umgekippt war.
Da! Da war das Geräusch schon wieder. Hinten, beim Schrank. Er leuchtete und entdeckte an der Wand hinter dem Möbel einen nur knapp verdeckten Türrahmen. Argwöhnisch spähte er zum Zimmerausgang, doch die Tür war geschlossen. Schließlich siegte seine Neugier. Er stand auf und rückte den Schrank mühsam von der Wand ab. Dahinter kam tatsächlich eine weitere Tür zum Vorschein. Und diesmal glaubte er sogar, einen flinken Schatten durch den Spalt am Boden huschen zu sehen. Mäuse? Lukas bückte sich, und der Lichtschein seines Handys strich über einen feucht schimmernden Fleck am Boden. Was war das? Schleim?
Vorsichtig betätigte er die Klinke. Abgeschlossen.
Lukas öffnete den Kleiderschrank und fand darin, was er suchte: einfache Bügel aus Draht. Er schnappte sich einen der Bügel, bog ihn zurecht und stocherte damit wie mit einem Dietrich in dem Türschloss herum.
Es klickte.
Vorsichtig zog er die Tür auf und beleuchtete einen weiteren Raum, der deutlich größer als seine Schlafkammer war. Der Lichtkegel glitt über Regale, in denen – Körperteile und Gliedmaßen lagen! Voller Abscheu schreckte er zurück. Es dauerte einige tiefe Atemzüge, bis er einen zweiten Vorstoß wagte.
Erneut fiel das Licht des Handys auf Pranken, Flügel und schuppige Schwänze. Erst bei näherem Hinsehen begriff Lukas, dass es sich bei den Gliedmaßen um Exponate aus Ton oder Lehm handelte. Und von diesen stammte auch der lehmig-modrige Geruch, der in dem Raum hing.
Vorsichtig ging Lukas näher. Vor den Regalen standen verschmutzte Werktische und hölzerne Bottiche, und an der Wand gegenüber war ein Brennofen mit Rauchabzug untergebracht. Voller Argwohn betrachtete er eine mannshohe, mit einem weißen Laken abgedeckte Gestalt in der hinteren Raumecke. Von ihr waren lediglich die Lehmfüße zu sehen, die sehr menschlich beschaffen waren. Lukas ahnte, wo er sich befand. Offenbar war das hier die Werkstatt, in der Abraham von Worms seine Golems fertigte.
Vom Regen abgesehen hörte er nun keine Geräusche mehr und wollte schon wieder kehrtmachen – als er zwei weitere Türen entdeckte. Eine führte rechts zur Galerie des Turmzimmers, die andere erinnerte ihn an eine Balkontür. Kurz haderte er mit sich, dann schritt er vorsichtig zur Letzteren und öffnete auch diese. Die Luft, die ihm entgegenschlug, war warm, leicht feucht und roch würzig nach Humus und süßen Pollen. Er befand sich jetzt auf der Außenbalustrade des Wasserturms, wie er leicht an den gotischen Fensterdurchbrüchen erkennen konnte. Allerdings waren diese mit hohen Sprossenscheiben ausgestattet, die dem Rundgang den Charakter eines Wintergartens verliehen. Der Regen prasselte gegen die Scheiben, so dass das nächtliche Lichtermeer der Stadt nur verschwommen zu sehen war.
Das Licht des Smartphones enthüllte Kübel mit Büschen und Pflanzen. Er ging weiter und entdeckte links und rechts des Weges weitere Setzkästen mit Sträuchern und Kräutern. Mehrfach blitzten im Licht einfache Holzschildchen auf, auf denen in altmodischer und weiblich anmutender Schrift die Namen der Gewächse standen: Galgant, Hahnenfuß, Herbstzeitlose, Christophskraut und Engelwurz waren nur einige der Kräuter, die hier gediehen. Vermutlich war das hier Millepertias Reich. Er spürte einen leichten Windzug. Das Unwetter da draußen war offenbar heftiger, als er angenommen hatte.
Lukas wollte schon wieder zurückgehen, um die Suche nach dem Etwas in seinem Zimmer erneut aufzunehmen, als sein Licht eine weitere Balkontür streifte. Sie führte offenbar in einen Raum neben der Werkstatt, dessen Fensterscheiben seltsam blind und nahezu
Weitere Kostenlose Bücher