Schwarze Tränen: Roman (German Edition)
Gärtnerin?«
»Sie dient mir nicht«, brummte der Alte. »Wenn sie wollte, könnte sie jederzeit gehen. Sie erinnert mich an meine Tochter Chaja.« Er schwieg eine Weile und betrachtete sie fast liebevoll. »Mit dem Unterschied, dass Mille in mehrfacher Hinsicht einen grünen Daumen hat. Vermutlich hätte ich den Rosengarten von Worms ohne sie nie aufgespürt.«
»Wieder im Rahmen Ihrer geomantischen Studien?«
»Nein, um dies hier zu finden.« Abraham beugte sich vor und strich über den unsichtbaren Mantel. »Ihr ahnt, um welches Kleidungsstück es sich hierbei handelt?«
Lukas stutzte und dachte an die Nibelungensage. Hatte Mephisto nicht berichtet, dass Siegfried im Rosengarten begraben lag? »
Das
ist die legendäre Tarnkappe aus Siegfrieds Grab? Jene, die er dem Zwergenkönig Alberich abgenommen hat? Aber … das ist ein Mantel!«
»Mit der Tarnkappe war stets ein Mantel gemeint«, antwortete der Zauberer. »Solche Kleidungsstücke nannte man im Frühmittelalter Cappa. Ich benötigte ihn, um im wahrsten Sinne des Wortes unsichtbar zu bleiben. Mit Hilfe des Mantels gaukelte ich meinen intriganten Zunftgenossen vor, ich sei längst tot. Bis vor kurzem war mir dabei ja auch Erfolg beschieden.«
Millepertia ächzte, schlug die Augen auf und zog langsam das Wurzelgeflecht ihrer Hand aus dem Boden. Sie wirkte jetzt deutlich erholter. Die Schrammen und Risse auf ihrer Haut waren verschwunden. Ein sanftes Lächeln lag um ihre Lippen, doch als sie Lukas erblickte, verdüsterten sich ihre Züge. »Er ist schuld, dass uns die Wilde Jagd angegriffen hat. Er hat Abaddons-Lurche in den Turm gebracht.«
»Mann, du bist wirklich eine undankbare Zicke!«, empörte sich Lukas. »Frag dich lieber, wer dich bis hierhergeschleppt hat!«
»Hört auf damit. Beide!« Abraham klopfte sich verärgert den Dreck aus den Kleidern. »Hinter alledem steckt Mephistopheles. Eine List wie diese ist typisch für den schwarzen Hundsfott.« Er zog sorgenvoll die Stirn in Falten. »Eigenartig. Aus irgendeinem Grund will er mich unbedingt in die Ränke meiner Kollegen hineinziehen. Ich frage mich, warum?«
»Ich glaube, er braucht Hilfe«, sagte Lukas.
»Hilfe? Er?« Abraham lachte, und Millepertia verzog mitleidig das Gesicht.
»Was ist daran so lustig?«, knurrte Lukas.
Der Zauberer sah ihn ungläubig an. »Ihr wisst es wirklich nicht? Ihr habt keine Ahnung, um wen es sich bei Mephistopheles handelt?«
Lukas sah verwirrt in die Runde. »Er sagte mir, er sei so eine Art Familarteufel.«
»Oh nein.« Abraham von Worms schüttelte energisch den Kopf. »Er ist nicht irgendein Teufel. Er ist
der
Teufel! Der Herrscher der Hölle. Luzifer!«
»Wie bitte?« Lukas lachte. »Sie verarschen mich doch.«
Doch die Gesichter seiner Begleiter blieben ausdrucklos.
»Ernsthaft jetzt?« Er konnte es immer noch nicht fassen. »Und warum erscheint
der
Teufel dann in Gestalt eines armseligen schwarzen Pudels? In jedem zweitklassigen Horrorfilm sieht der Teufel beeindruckender aus.«
»Glaubt es, oder lasst es bleiben«, entgegnete der Zauberer ungerührt. »Das liegt bei Euch.«
»Es heißt, dass der Satan die Hölle nicht leibhaftig verlassen kann«, sagte Millepertia, und Abraham von Worms nickte: »Betrachtet Luzifers Pudelgestalt als eine Art Avatar. Mephistopheles ist gewissermaßen ein Splitter von Luzifers Persönlichkeit – und agiert doch eigenständig.«
»Aber warum ausgerechnet als
Pudel?
«
»Warum nicht?« Der Geomant half Millepertia auf die Beine. »Hunde gehören zu den ersten Tieren, die der Mensch domestiziert hat. Die meisten von uns empfinden sie als Freunde. Das kann Mephistopheles nur recht sein. Gerade Pudeln sagen Menschen nach, charmant, gewitzt und gefallsüchtig zu sein. Hinzu kommt, dass ein Hund als Begleiter niemandem in unserer Gesellschaft besonders auffällt.«
Lukas seufzte. »Egal.
Er
ist im Augenblick nicht unser Problem. Ich würde lieber wissen, wer der Kerl war, der uns die Wilde Jagd auf den Hals gehetzt hat.«
»In der Tat.« Abraham von Worms nickte sorgenvoll. »Von irgendwoher kam mir der Mann bekannt vor.«
»Welcher Kerl?«, wollte Millepertia wissen.
Lukas berichtete ihr, was während ihrer Bewusstlosigkeit vorgefallen war. Abraham nutzte die Gelegenheit, die aus dem Turm geretteten Habseligkeiten auf dem Boden auszubreiten, als führe er eine Art Inventur durch. Lukas sah weitere Lederbeutel, ein Kästchen aus Zedernholz, Steine mit arkanen Gravuren, Knochen, Haarbüschel und sogar einen
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