Schwarze Tränen: Roman (German Edition)
fasziniert fest. »Doch er ist ohne Bewusstsein.«
»Könntet ihr eure alchimistischen Beschäftigungen bitte auf später verschieben«, zischte Millepertia gereizt. »Wir sind wegen von Nettesheim hier.«
»Natürlich.« Abraham von Worms räusperte sich und legte den Glasstab beiseite. Er hob die Armillarsphäre an, und gemeinsam betraten sie das Treppenhaus.
Wie erwartet, fanden sie den Magier ein Stockwerk höher, im Turm der Villa. Lukas’ Blick glitt über das protzige Zimmer mit dem riesigen Schreibtisch und den hohen Bücherregalen, das offensichtlich als Studierstube diente. An den Wänden hingen Speere, Blasrohre und bunte Holzmasken. Offenbar war Nettesheim irgendwann in Afrika gewesen. Die Schubladen des Arbeitstisches standen offen und wirkten durchwühlt, viele Bücher lagen aufgeklappt auf dem Boden, und ganze Regalreihen schienen komplett ausgeräumt worden zu sein. Von Nettesheim lag noch immer in derselben entwürdigenden Weise da, wie sie es auf dem Monitor gesehen hatten: gefesselt, geknebelt, auf dem Rücken und mit nichts als seiner altertümlichen Unterwäsche bekleidet, die fast seinen ganzen Körper bedeckte und deren herausragenstes Merkmal eine Knopfleiste war, die vom Brustbein bis zur Hüfte reichte. Hände und Füße hatte man ihm mit Stricken so fest an den Standbeinen von Schreibtisch und Regalen gefesselt, dass er sich kaum noch rühren konnte.
Aufgeschreckt hob der Magier den Kopf und nuschelte etwas in seinen Knebel. Dann jedoch verstummte er und glotzte sie ungläubig an. Offensichtlich hatte er anderen Besuch erwartet – oder ihn irritierte die bizarre Erscheinung, die Abraham in seinem Tarnumhang bot.
Lukas richtete seine Flinte auf Nettesheim. »Wieso bist du nicht tot, Arschloch?« Er musste wieder an die Frauen denken, die um des Magiers willen gestorben waren. Millepertias Gesichtsausdruck zufolge schien sie seine Verachtung zu teilen. Ohne den Geknebelten eines weiteren Blickes zu würdigen, machte sie sich daran, Schreibtisch und Regale zu durchsuchen, während sich Abraham von Worms vor den Mann hinkniete und ihm den Knebel lockerte. »Ein falsches Wort, Agrippa, und ich führe zu Ende, was John Dee begonnen hat.«
Zornig sah von Nettesheim zu Abraham auf. »Sieh an. Der berühmte Abraham von Worms lebt also ebenfalls noch. Natürlich.« Er lachte rauh. »Kaum gerät die Hölle in Unordnung, kommst auch du aus deinem Versteck gekrochen. Und wie ich sehe, besitzt du sogar einen Tarnmantel. Sehr beeindruckend.« Wütend starrte er durch den Zauberer hindurch zu Lukas. »Und den jungen Faust hast du dir inzwischen ebenfalls geschnappt. Gratulation. Ich habe die Angelegenheit in Staufen wohl etwas unterschätzt. Aber ich verspreche, das passiert mir so schnell nicht noch einmal.«
»Erspare uns dein Gefasel.« Abraham packte ihn am Ausschnitt der Unterwäsche. »Du wirst uns jetzt ein paar Fragen beantworten.«
»Warum sollte ich?«, höhnte dieser. »Glaubst du, du könntest mich so einfach umbringen? Nein, Abraham, ich bin unverwundbar. Selbst John Dee ist mir nicht beigekommen.«
»Tatsächlich?« Mit fast wissenschaftlichem Interesse las Abraham von Worms eine herumliegende Schreibfeder auf und rammte sie Agrippa von Nettesheim in den Unterarm. Der Gefesselte zuckte kurz zusammen, doch als der Zauberer die Feder aus dem Fleisch zog, wuchs die Wunde wieder zusammen. »Sieh an«, stellte er sachkundig fest. »Irgendetwas zieht deine Verletzungen auf sich.« Er packte seinen Rivalen am Kinn und drehte dessen Kopf nach links und rechts. »Und du siehst erstaunlich jung aus.«
»Man tut, was man kann. Auch du hast deine natürliche Lebensspanne weit überschritten. Mich würde ebenfalls interessieren, wie du das angestellt hast.«
Abraham ließ ihn wieder los. »Jeder von uns hütet seine Geheimnisse.«
»Ganz sicher tun wir das.« Ein spöttisches Lächeln kräuselte Agrippa von Nettesheims Lippen. »Da wir das geklärt hätten, sag deinem Flittchen, dass sie vergebens sucht. John Dee hat Fausts Höllenzwang an sich genommen.«
»Das Flittchen mag solche Ausdrücke nicht.« Millepertia drehte sich mit einer der afrikanischen Masken in der Hand zu ihm um. »Hast du deine Huren schon mal mit einem zünftigen Hexenschuss erwartet? Ist sicher eine ganz neue Erfahrung.« Sie stieß den Finger ruckartig vor, doch von Nettesheim grinste nur. »Glaubst du wirklich, dein armseliger Hexenfluch könnte mir etwas anhaben?«
Millepertia starrte ihn hasserfüllt an.
Lukas
Weitere Kostenlose Bücher