Schwarze Tränen: Roman (German Edition)
die gefallenen Engel seiner Herrschaft, doch Abaddon wird von Tag zu Tag mächtiger.«
Abraham richtete sich mit knackenden Gliedern auf. »Auf gewisse Weise ergibt das sogar einen Sinn. Wenn Doktor Faust wirklich eine Möglichkeit gefunden hat, den Teufel zu entmachten, könnte er mit dem neuen Herrscher der Hölle auch eine neue Vereinbarung treffen.«
»Endlich begreifst du!« Agrippa lachte. »Während wir anderen bloß versucht haben, unser irdisches Jammertal zu verlängern, hat Johann Faust eine Lösung gefunden, um das Problem an der Wurzel zu packen. Der Doktor war genial, auch wenn er selbst die Früchte seiner Forschungen nicht mehr genießen konnte.«
»Sind Sie sich da sicher?«, warf Lukas ein.
»Natürlich, du dummer Junge«, Agrippa schnaubte abfällig. »Schließlich ist er krepiert, bevor er seine hochtrabenden Pläne umsetzen konnte. Ansonsten säße seine verdammte Seele doch wohl kaum in der Hölle ein, oder? Dee muss irgendwie auf Fausts Forschungsergebnisse gestoßen sein und führt nun zu Ende, woran der Doktor damals getüftelt hat.«
»Und das bereits ohne Besitz von Fausts Höllenzwang?«, zeigte sich Lukas skeptisch.
Agrippa von Nettesheim warf Abraham und Millepertia einen gequälten Blick zu. »Wie lange muss ich mich noch mit diesem Laien abmühen? Können wir die Angelegenheit nicht unter sechs Augen besprechen? Nur wir, die uns die Sache überhaupt betrifft?«
»Warum sollten wir?«, sagte Abraham.
Nettesheims Stimme nahm einen beschwörenden Unterton an. »Ganz einfach: Weil Dee im Augenblick die Nase vorn hat. Warum tun wir uns nicht zusammen? Wenn wir ihn niederringen, könnten
wir
uns Abaddon andienen. Der Höllenpakt mit all seinen unangenehmen Folgen für unsere Seelen – er wäre Geschichte.«
Lukas sah, wie sich in die Blicke seiner Begleiter ein Funke Hoffnung stahl. »Hey, ihr werdet doch wohl nicht auf diesen Kerl hören! Warum hat Dee uns und ihm wohl diese Wilde Jagd auf den Hals gehetzt? Wozu all die Mühen, wenn der Kampf zwischen Abaddon und Teufel schon entschieden wäre?« Er klemmte sich die Flinte unter die Achsel. »Außerdem möchte ich daran erinnern, dass die Rechnung noch eine unbekannte Variable birgt. Hat der … Sukkubus nicht in Staufen angedeutet, dass Doktor Faust schon bald aus der Hölle zurückkehren soll? Falls da etwas dran ist … nun ja … ist mein berühmter Ahne vielleicht schon jetzt deutlich einflussreicher, als ihr denkt.«
»Lächerlich«, widersprach von Nettesheim. »Fausts Seele ist dort, wo sie jetzt einsitzt, rettungslos verloren. Im Augenblick versucht John Dee ihn zu beerben. Wie man sieht, mit einigem Erfolg. Immerhin hat er Abaddon selbst dazu gebracht, an seiner Seite zu streiten. Wir müssen dem Helljäger bloß klarmachen, dass wir die besseren Verbündeten sind.«
»Und wer hat dann Lukas den Sukkubus auf den Hals gehetzt?«, warf Millepertia ein. »War das auch Dee?«
»Nicht nach ihrer Aussage«, sagte Lukas nachdenklich. Es war ihm noch immer unangenehm, über Sylvia zu sprechen. »Außerdem frage ich mich, wofür Abaddon den Zauberer überhaupt braucht, wenn er bereits über den Höllenthron herrscht. Da stimmt doch irgendetwas nicht.«
»Hm.« Abraham musterte nachdenklich die afrikanischen Kunstgegenstände an der Wand. »Die Hölle ist der ideale Ort, um mit einem Sukkubus in Kontakt zu treten. Theoretisch gibt es keinen besseren. Faust säße also direkt an der Quelle.«
»Ja, aber warum sollte ihm ein solcher Dämon überhaupt gehorchen?«, wandte Millepertia ein.
»Muss er doch gar nicht«, meinte Lukas. »Ein Sukkubus ist ein Dämon, richtig? Gehört er damit nicht streng genommen eher zu den Untertanen Abaddons als zu denen des Teufels? Und würde es dann nicht reichen, wenn Faust über den Sukkubus einen Weg gefunden hat, aus eigenem Antrieb diesen Abaddon zu kontaktieren?«
Millepertia sah ihn fragend an. »Das wäre denkbar, ja. Aber wozu hätte Faust das tun sollen? Was könnte er dem Helljäger schon bieten, wenn er selbst in der Hölle sitzt?«
Lukas wollte etwas sagen, doch ihm fiel keine Antwort ein.
»Dennoch, der Gedanke ist nicht dumm.« Abraham nickte Lukas wohlwollend zu. »Dass wir nicht über die Informationen zur Beantwortung der Frage verfügen, bedeutet schließlich nicht, dass die Theorie selbst fehlerhaft ist. Wir wissen ja noch nicht einmal, ob Abaddon tatsächlich oder gar unumschränkt über den Höllenthron herrscht. Mit einiger Sicherheit festhalten können wir nur,
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