Schwarze Träume: Ein Anita Blake Roman (German Edition)
Make-up-Entferner war eigentlich für Lidschatten gedacht, aber Lippenstift ging genauso gut damit weg. Ich goss ihn auf ein Feuchttuch, wischte alles ab und zog mir die Lippen nach. Sie sehen, wie viel Mühe man dadurch hat. Ich war bloß froh, dass ich nie Foundation benutzte. Die wäre selbst auf diesem Teppich katastrophal gewesen.
Als mein Mund wieder so rot war wie zu Anfang, packte ich alles zurück in die Schublade, stand auf, zog den Rock glatt, atmete tief durch und ging zur Tür. Nach allem, was mir in den letzten vierundzwanzig Stunden passiert war, musste ich trotzdem reichlich Mut zusammenraffen, um Bert aufrecht entgegenzutreten. Man vögelt nicht im Büro. Das tut man einfach nicht. Das ist ordinär, gelinde gesprochen. Scheiße.
Als ich den Rezeptionsbereich betrat, erlebte ich eine Überraschung. Niemand vermutete, dass wir Sex gehabt hatten. Für die anderen hatten sich die Schreie nach blutiger Gewalt angehört. Dass Nathaniel und ich mit mehr Wunden herauskamen, als wir reingegangen waren, schien das zu bestätigen. Mary hatte ihn auf ihren eigenen Schreibtischstuhl gesetzt. Sie legte gerade Verbandszeug zurecht, während er die Verletzungen an seiner Hand reinigte. Er hatte tiefe, blutende Kratzer. Früher hätte ich vielleicht mal gesagt, er sähe aus, als hätte ihn ein Leopard in die Krallen gekriegt, aber inzwischen kannte ich mich besser aus. Jedenfalls war ich verblüfft, was ich da angerichtet hatte.
Ich stellte mich neben ihn. »Es tut mir leid«, sagte ich.
»Ich bin dir nicht böse.«
Jetzt sah ich, dass seine Fingerknöchel an beiden Händen wund gerieben waren. Ich runzelte die Stirn. »Das war ich aber nicht.«
»Verbrennung vom Teppich«, erklärte er.
Angesichts seiner blutigen Kratzer verzog ich das Gesicht. »Autsch.«
»Das macht mir nichts aus.«
Mary blickte zu mir auf. »Dieses Ehepaar ist noch bei Bert. Sie wollten ohne die Sachen ihres Sohnes nicht gehen.« Sie wirkte ungehalten. »Unglaublich, dass die Sie angegriffen haben.«
Ich leckte mir über die Lippe, wo Steve Brown mich getroffen hatte, und merkte, dass die Stelle verheilt war. Es hatte nicht mal gebrannt, als ich den Lippenstift auftrug. Mist. Wow. Eine sehr positive Begleiterscheinung. Schön, dass es auch mal angenehme gab.
Ich betastete meinen Kratzer an der Wange. Er tat noch weh. Ich hatte ihn mir im Spiegel nicht angesehen, wahrscheinlich hatte er aber vor einer Stunde noch schlimmer ausgesehen.
»Wenn ich mit Ihrem Freund fertig bin, helfe ich Ihnen, das sauber zu machen«, sagte Mary ohne eine Spur Sarkasmus. Freund ohne Doppelbedeutung. Sie war nicht nur bei uns angestellt, weil sie gut tippen konnte. Sie hatte eine echte Gabe dafür, mit Schwierigem locker umzugehen. Sie ließ Nathaniel Mulltupfer auf seiner Hand festhalten, während sie sie verpflasterte. Sie hatte sich keine Schutzhandschuhe übergezogen. Ich konnte mich nicht entsinnen, ihr erzählt zu haben, was Nathaniel war.
In Menschengestalt sind Lykanthropen zwar nicht ansteckend, aber sie hatte das Recht, es zu erfahren. Als hätte Nathaniel meine Gedanken gelesen, sagte er: »Ich wollte, dass sie mich das Blut abwischen lässt.«
Mary warf mir einen Blick zu. »Er hat es mir gesagt, und ich habe dagegengehalten, dass man sich bei einem Lykanthropen in Menschengestalt nicht anstecken kann.«
Nathaniel sah mich mit großen Augen an. Ich hab’s versucht, sollte das heißen.
»Da haben Sie recht, Mary.«
Sie lächelte ihn sehr mütterlich an. »Sehen Sie?«
»Die meisten Leute wollen kein Risiko eingehen«, erwiderte er ruhig.
Mary wurde mit dem Verband fertig und klopfte ihm auf die Schulter. »Die meisten Leute sind bloß dumm.«
Er lächelte sie an, aber sein Blick war gequält. Die meisten Leute sind bloß dumm. Sie hatte ja keine Ahnung. Aber ich wahrscheinlich auch nicht. Ich lernte erst seit kurzem die Reaktionen der Leute kennen, die glaubten, ich sei ein Gestaltwandler, wogegen Nathaniel das schon seit Jahren kannte.
Mary drehte sich zu mir um und berührte sacht meine Wange. Sie schüttelte den Kopf. »Ich wollte die Polizei rufen. Man sollte sie wegen Körperverletzung verklagen.« Sie fing an, den Kratzer zu betupfen. Offenbar mit etwas Alkoholhaltigem, denn es brannte.
Ich atmete tief ein, um nicht zusammenzuzucken. »Ich möchte sie nicht anzeigen.«
»Tun sie Ihnen leid?«, fragte sie.
»Ja.«
»Dann sind Sie ein besserer Mensch als ich, Anita.«
Ich lächelte, aber das zog an dem Kratzer. »Ich habe
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