Schwarze Träume: Ein Anita Blake Roman (German Edition)
Schatz.«
»Woher weißt du das?«, fragte ich.
Ich bekam einen ausdruckslosen Blick aus seinen großen grauen Augen. »Jean-Claude fand London damals toll, sogar ausgesprochen toll, und mir gefiel das an ihm.« Am Schluss hatte sein Ton etwas Feindseliges.
»Wieso habe ich das Gefühl, ich müsste mich entschuldigen?«
»Halte einfach den Arm höher«, sagte er. Er hatte die Hände voller Zeug und schien noch immer nicht das Richtige gefunden zu haben. »Du brauchst dich für nichts zu entschuldigen, Schätzchen. Außer bei Asher mag Jean-Claude sein Fleisch gern nachgiebiger, tat er schon immer. Ah, da haben wir es ja.« Er hielt ein noch geschlossenes Päckchen Verbandmull hoch. Er lächelte mich an, und das Lächeln war so harmlos, passte so gar nicht zur Situation. »Jetzt lass mal Onkel Byron das große Aua sehen.«
Ich schoss ihm einen unfreundlichen Blick zu. »Ich habe eine Armverletzung, keinen Hirnschaden. Lass die Babysprache.«
Er zuckte die Achseln. »Ganz wie du willst, Liebchen.«
In mir sträubte sich alles, aber Byron sprach jeden mit solchen Kosenamen an. Würde ich das persönlich nehmen, könnte ich kein Gespräch mehr mit ihm führen. Außerdem war ich erschöpft. Ich ließ es durchgehen.
»Warum soll ich Nathaniel nicht anfassen?«
Byron guckte mich an, als wäre ich schwer von Begriff. »Na, Schätzchen, wenn Jean-Claudes Kuss plötzlich mehr ist, dann deiner womöglich auch. Die Macht des Dieners wächst mit der des Meisters.« Er besah, was er in den Händen hielt, schüttelte den Kopf und warf alles zurück in den Kasten. »Reich mir, was ich brauche«, sagte er zu Nathaniel.
Der nickte, sah aber mich dabei an. Ich starrte in seine Lavendelaugen.
Byron schnippte vor meinem Gesicht mit den Fingern. »Auf keinen Fall werdet ihr zwei euch anfassen. Das wäre gefährlich. Jetzt zieh die Jacke aus.«
Ich tat es, und es tat weh, den Ärmel über die Wunde zu ziehen, aber erst als ich mein Handgelenk sah, schnappte ich nach Luft, und Nathaniel sagte: »Ach du Scheiße.«
Vampirbisse sind meistens zwei zierliche Löcher. Dieser nicht. Primo hatte sämtliche Zähne hineingeschlagen, darum sah es wie ein Tierbiss aus. Wie ein wütender Tierbiss. Und es blutete gleichmäßig und ununterbrochen. Sowie ich es sah, wurde mir schwindlig, und es schmerzte höllisch. War ja klar.
»Du hast Glück, dass du noch stehst«, meinte Byron. Er zog mit einem Fuß einen Stuhl heran. »Setz dich hin.«
Ich setzte mich. Denn ehrlich gesagt war ich ein bisschen zittrig. Ich hätte längst merken müssen, wie schlimm die Wunde war. Wäre sie ein paar Millimeter tiefer gewesen, wäre ich verblutet.
»Wieso habe ich das nicht längst gemerkt?«
»Menschen, die bezaubert waren, habe ich schon an kleineren Wunden verbluten sehen, und sie haben bis zum Schluss gelächelt, Schätzchen.« Er riss das Päckchen mit dem sterilen Mull auf. »Drück das feste drauf. Du hast für heute genug Blut verloren. Mal sehen, ob wir dir den Rest erhalten können.« Wenn er ernst war, fielen die Kosenamen weg. Er war erst seit ein paar Wochen hier, und ich wusste bereits, dass es übel stand, wenn die Schätzchen und Liebchen und Miezen wegfielen.
»Wie kann ich mich nützlich machen?«, fragte Nathaniel.
»Besorg uns noch mehr Mulltupfer. In diesem Kasten war nur das eine Päckchen, aber Anita braucht mehr.«
Nathaniel stellte den Kasten auf einen Stuhl und rückte ihn neben Byron, dann ging er zur Tür. Offenbar wusste er, wo er suchen musste. »Wie schlimm werdet ihr denn sonst bei der Arbeit zugerichtet?«, fragte ich.
»Meistens sind es nur Kratzer«, sagte Byron. »Aber du wärst überrascht, wie viele Frauen zu beißen versuchen.«
Ich sah ihn an.
Er grinste. »Na, Schätzchen, warum sollte ich lügen?«
Eben noch konnte ich ihn angucken, ohne mir was dabei zu denken, hielt die Schmerzen am Handgelenk aus und wunderte mich, dass es mir nicht aufgefallen war, und plötzlich überlegte ich, ob er unter dem Morgenmantel wohl nackt war, und hoffte es.
Ich schloss die Augen und versuchte, mich abzuschirmen mit allem, was mir zur Verfügung stand, doch Jean-Claudes Stimme drang zu mir durch. »Verzeih mir, ma petite, es tut mir so leid, aber Primo wehrt sich noch immer gegen mich, und ich habe nicht genügend Kraft aus dir geschöpft. Ich kann nicht gleichzeitig Primo beherrschen und mich stärken. Aber du kannst mich stärken. Du kannst mir geben, was ich brauche, ma petite. Bitte, bitte, weise mich nicht ab. Wenn
Weitere Kostenlose Bücher