Schwarze Träume: Ein Anita Blake Roman (German Edition)
dass der große Engel ein Schwert und einen Schild trug, und man hatte den Eindruck, er würde gleich das Urteil sprechen und das würde einem nicht gefallen. Aber vielleicht war das Einbildung.
Auf dem asphaltierten Fahrweg warteten ein Dutzend Leute, hauptsächlich Anwälte, aber mit genügend Familienmitgliedern, dass es fast eine Prügelei gegeben hätte, als ich mich vorstellte und kurz eröffnete, was ich gleich tun würde. Mittlerweile teilte ich den Leuten nämlich ungeschönt mit, dass ich Hühner mit einer Machete köpfte. Dazu hatten mich zwei Vorfälle bewogen. Einmal hätte mich der übereifrige Leibwächter eines sehr reichen Mannes fast erschossen, als ich die Machete zog. Und ein andermal bei einer Erweckung für einen historischen Verein griff mich dessen Sekretärin an und versuchte, das Huhn zu retten. Es stellte sich heraus, dass sie Veganer war. Das ist so was wie ein fundamentalistischer Vegetarier. Danach war ich froh, dass es für eine Jacke zu warm gewesen war, denn meine waren alle aus Leder.
Heute Abend war es kalt genug, um eine Jacke zu tragen. Normalerweise ist der Oktober in St. Louis nicht so kalt, aber dieser Abend war eine Ausnahme. Oder es kam mir nur so kalt vor, weil ich einen Stringtanga anhatte. An diesem dürftigen Ding überraschte mich zweierlei. Erstens: Nachdem ich mich einmal an das Gefühl gewöhnt hatte, eine Strippe in der Poritze zu haben, fand ich ihn ganz bequem. Und zweitens: Unter einem kurzen Rock an einem kalten Abend war es mit so einem Ding verflucht kalt. Mir war nie bewusst gewesen, wie viel Wärme dieses bisschen mehr Stoff eines gewöhnlichen Slips an meinem Hintern konserviert. Das wurde mir klar, während ich in Stiefeletten und Röckchen über den Rasen ging. Ich zog die Schultern hoch und hielt die Nase vom Kragen der Lederjacke fern. Ich wollte keinen neuen Flashback auslösen. Dabei beschwor ich die Wärme unter der Jacke, sich auf meinen Unterkörper auszubreiten, und wünschte, ich hätte mir doch eine der größeren ausgeliehen. Die hätten an mir zwar nicht so gut ausgesehen, aber wenigstens bis über den Po gereicht.
Ich stand vor dem Grab, aber da es sich seit fast zweihundert Jahren auf diesem Friedhof befand und dieser sehr sorgfältig gepflegt wurde, konnte man nie so ganz sicher sein, wo der Tote genau lag. Denn mit der Zeit waren viele Gräber von anderen Friedhöfen hierher verlegt worden, die man auflösen und in Bauland umwandeln wollte. Aber ich hatte meine Abschirmung so weit gesenkt, dass ich genau spürte, wo Edwin Alonzo Herman ruhte. Seine Knochen waren da unten, ich konnte sie fühlen.
Für die Zuschauer auf der Straße, die für diese Vorstellung bezahlt hatten, sah es sicher so aus, als stünde ich zu weit von dem großen Engel entfernt. Nach meiner Erfahrung war die gaffende Menge immer zufrieden, sobald der Zombie aus der Erde kroch. Dann verzieh sie sofort jeden Mangel an Showeffekten. Komisch.
Der Korb mit den leise gluckenden Hühnern stand neben mir am Boden. Graham hatte ihn hergetragen und auf meine Anweisung dorthin gestellt, ohne Widerrede. Seit wir aus dem Wagen gestiegen waren, füllte er seine Leibwächterrolle überzeugend aus und war wieder der pflichtbewusste, ernste Mitarbeiter, den ich aus dem Club kannte. Er trug ein schlichtes weißes T-Shirt, schwarze Jeans, Joggingschuhe und eine kurze Lederjacke. Seine Dienstkleidung hatte er unaufgefordert abgelegt. Der witzige, flirtbereite Mann von eben war hinter einem sehr ernsten Gesicht und dunklen Augen verschwunden. Er schaute unablässig über den Friedhof und die Leute in unserer Nähe und hatte die gesamte Umgebung im Blick. Man nahm ihm den Leibwächter sofort ab. Als solchen hatte ich ihn den Anwälten vorgestellt und auf meine Verbände hingewiesen, damit sie glaubten, dass seine Anwesenheit notwendig war. Als Graham seinen dunklen Blick auf sie richtete, wandte keiner etwas ein. Er hatte wirklich einen guten Blick, eine Härte im Gesicht und in den Augen, die gar nicht dazu passte, wie er sich im Jeep gegeben hatte. Interessant.
Requiem hatte meine Sporttasche mit dem Handwerkszeug hergetragen. Ich hatte sie nicht nehmen können, weil ich den Hühnerkorb mit beiden Händen tragen wollte. Die Tiere fangen an zu kreischen, wenn man sie nicht behutsam und waagerecht trägt. Da ich vorhatte, sie zu töten, wollte ich sie nach Möglichkeit nicht ängstigen. Sie mussten sterben, damit ich den Toten erwecken konnte, aber ich wollte sie so wenig wie möglich
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