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Schwarze Träume: Ein Anita Blake Roman (German Edition)

Schwarze Träume: Ein Anita Blake Roman (German Edition)

Titel: Schwarze Träume: Ein Anita Blake Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurell K. Hamilton
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rufen, in Anspruch nehmen, belohnen.
    Ich drückte die Handflächen an den Boden und spürte den Toten direkt unter mir, so deutlich, als schaute ich in Wasser, wo jemand mit dem Ertrinken rang und ich nur hineinzugreifen brauchte, um ihn zu retten.
    Ich flüsterte: »Edwin Alonzo Herman, höre mich.« Er regte sich wie ein Schlafender im Traum. »Edwin Alonzo Herman, ich rufe dich aus dem Grab.« Ich fühlte, wie sich seine Knochen streckten, sein Fleisch sich zusammenfügte. Er erneuerte sich, und es ging so leicht, zu leicht. Die Macht begann sich auszubreiten, tastete nach dem nächsten Grab. Irgendwo tief in mir wusste ich, es würde nicht bei diesem einen bleiben, und ich begriff, dass ich den ganzen Friedhof wecken könnte, alle aus ihren Gräbern steigen lassen konnte. Ohne Blutopfer. Ohne Hühner. Ohne Ziegen. Nur mit der Macht, die mich durchwehte, und dem Vampir an meinem Rücken. Denn die Macht wollte genutzt werden. Sie wollte helfen, mir helfen, sie alle aus den Gräbern zu locken, sie ans Licht der Sterne zu bringen und mit Leben zu erfüllen. Es würde sich so gut anfühlen, sie herauszuholen, so gut.
    Ich schüttelte den Kopf und rang mit der hilfsbereiten Macht, damit sie sich nicht wie eine schleichende Krankheit über die Gräber ausbreitete. Und ich rang darum, festzuhalten, was von meinem alten Ich noch übrig war. Ich brauchte Hilfe. Ich dachte an Jean-Claude, aber der war jetzt nicht der Richtige. Ich brauchte einen, der mich spüren ließ, dass ich nicht tot war, dass ich lebte.
    Ich tastete nach dem Dritten in unserem Triumvirat, nach Richard. Er schaute hoch, als schwebte ich über dem Esstisch der Familie. Ich sah seinen Vater, der ihm ungeheuer ähnlich sah, und fast alle Brüder um den Tisch sitzen und eine blaue Schüssel weiterreichen. Charlotte, seine Mutter, kam gerade durch die Schwingtür aus der Küche. Sie war so groß wie ich, hatte honigblonde Haare und eine zierliche, aber dennoch weibliche Figur. Abgesehen von Haarfarbe und Teint war sie mir ähnlich. Die Zeeman-Brüder hatten nicht ohne Grund alle kleine, durchsetzungsstarke Frauen gewählt. Gut gelaunt brachte sie eine große Platte mit Essen herein und plauderte mit ihrer Familie. Die Geräusche und Stimmen der munteren Familienszene konnte ich nicht hören. Sie wirkten alle so glücklich, so perfekt, ich wollte sie nicht mit meinen Problemen belästigen.
    Gerade war ich im Begriff, mich zurückzuziehen, als ich Richards Stimme in meinem Kopf hörte. »Warte, Anita, warte bitte.« Er entschuldigte sich am Tisch und ging durch das große Wohnzimmer auf die Veranda und dann die Stufen hinunter, bis er in denselben Himmel blicken konnte, den ich auch über mir hatte. Inzwischen schien er gespürt zu haben, was los war, denn er sagte. »Großer Gott, Anita, was ist passiert? Ich spüre nicht zum ersten Mal deine Macht, aber das hier ist neu.«
    Ich konnte nicht genügend Konzentration darauf verwenden, rein gedanklich mit ihm zu sprechen. Requiem würde also meinen Teil des Gesprächs mithören, aber das war mir inzwischen egal. »Die Vampire meinen, wir haben eine neue Machtstufe erreicht.«
    Er strich sich über die nackten Arme. Er hatte sich den Umweg zur Garderobe gespart. »Es ist, als wäre die Nachtluft von deiner Macht geschwängert. Was kann ich tun?«
    »Lass mich spüren, dass ich nicht tot bin, dass ich im Leben verankert bin.«
    »Wieso hilft das?«
    Ich wollte frustriert aufschreien. »Mann, Richard, hilf mir einfach, bitte, hilf mir. Wenn du es nicht tust, werde ich den ganzen Friedhof erwecken.«
    Er nickte. »Es tut mir leid, Anita, so vieles tut mir leid.« Er blickte zu Boden. Ich kannte die Geste. Wenn er das tat, dachte er nach oder raffte seinen Willen zusammen. Meistens für etwas, wogegen er sich sträubte. Aber ich hatte keine Zeit, um mir über seine Befindlichkeiten Gedanken zu machen. Ich hatte zu viel Angst vor der Macht, die unter mir im Boden pulsierte und sich auszubreiten drohte. Mit ihr könnte ich so ein schlurfendes Zombieheer erstehen lassen, das die Filmindustrie so gern darstellt, obwohl sie von Nekromantie keine Ahnung hat.
    Richard blickte zum Haus zurück und rief: »Alles in Ordnung, Mom. Ich will nur mal ein paar Minuten allein sein. Behalte die anderen im Haus bitte.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, Mom, es ist noch nicht Vollmond.«
    Er ging weiter in den Garten hinein, weg vom Lichtschein des Hauses, und senkte seine Schilde, die metaphysische Mauer, die sein Tier einsperrte

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