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Schwarze Träume: Ein Anita Blake Roman (German Edition)

Schwarze Träume: Ein Anita Blake Roman (German Edition)

Titel: Schwarze Träume: Ein Anita Blake Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurell K. Hamilton
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und ihm half menschlicher zu erscheinen. Plötzlich war die Nacht lebendiger als vorher. Die Luft war geschwängert von tausend Gerüchen: reife Äpfel im Obstgarten hinter dem Haus, dichtes Gras, Bäume, würziges Harz, mild duftendes Birkenholz, der süßlich scharfe Geruch der Pappeln und über allem ein satter, herbstlicher Laubgeruch. Dazu kamen die Geräusche. Die letzten Zikaden des Jahres zirpten schwermütig. Andere Insekten summten ihre letzten Lieder, ehe der Winter einsetzte. Die dicke Eiche an der Auffahrt streckte die Äste den Sternen entgegen, und Richard blickte auf, um den Wind wehen zu sehen. Am Boden regte sich kein Lüftchen, aber in den Baumkronen ging ein stürmischer Wind und zerrte an den nackten Zweigen. Menschen sehen selten nach oben, aber Tiere tun es, weil sie wissen, dass es keine Sicherheit gibt. Sie sorgen sich nicht so sehr wie wir, aber sie sind sich dessen anders bewusst.
    Richard ging bis an den Waldrand, der im Westen an das Grundstück der Familie grenzte. Er fasste an einen Baumstamm. Die Rinde war rau und hart, hatte breite, tiefe Risse. Er lehnte die Wange dagegen, atmete den würzigen Geruch ein. Es war ein Amberbaum. Er blickte hinauf in die kahlen Zweige, wo noch die kleinen, rauen Kugeln hingen. Er umfing den Stamm mit beiden Armen, hielt ihn so fest, dass sich die Rinde in seine Haut drückte, rieb die Wange daran, als markierte er den Baum mit Drüsensekret. Dann rannte er los. Er rannte leichtfüßig in den Wald hinein. Nicht um zu jagen, sondern aus Freude an der Bewegung.
    Er schlängelte sich durch das Unterholz, ohne es zu streifen. Das hatte ich bei ihm schon mal erlebt: Es war, als würden ihn die Bäume und Büsche willkommen heißen und ihm Platz machen. Er tauchte ungehindert durch das Grün, rannte, duckte sich, drehte sich, vertraute sich dem Wald an und überließ sich dem Gefühl des lebendigen Bodens unter seinen Füßen. Es gab Leben, das nicht lief oder kauerte. Alles war lebendig auf eine Weise, die die meisten Menschen nie verstehen.
    Richard rannte und nahm mich mit wie in jener Nacht damals, als er mich an die Hand nahm und ich Mühe hatte, mit ihm Schritt zu halten. Jetzt ging es mühelos, weil ich in seinem Kopf war, in ihm. Für ihn war die Nacht lebendig, wie sie es für Jean-Claude oder mich nie war. Ich war zu sehr Mensch, und Jean-Claude hatte zu wenig Interesse am Leben. Wir konnten beide nicht empfinden, was Richard durch sein Tier empfand.
    Jemand fasste mich an der Hand, und mit einem Ruck war ich wieder am Grab. Requiem kniete wie befohlen hinter mir, und Graham war vor mir auf dem Grab. Er schaute verunsichert und schnupperte. »Du riechst nach Wald und Rudel«, sagte er leise.
    Richard blickte auf. »Warum ist Graham bei dir?«
    »Als Leibwächter. Jean-Claude fürchtet, es könnte was passieren.«
    »Dann sag ihm, er soll auf dich aufpassen, und das kann er nicht, solange er auf dem Grab hockt.«
    »Du sollst auf mich aufpassen, Graham, und das kannst du nicht, solange du auf dem Grab hockst.« Der scharfe Wolfsgeruch verdichtete sich.
    Graham reagierte sofort darauf. Er duckte sich nach Wolfsart an den Boden und winselte. »Entschuldige, aber du riechst so gut. Ich habe mich hinreißen lassen.«
    »Lass das Winseln und geh an die Arbeit«, sagte Richard, und ich wiederholte es.
    Graham gehorchte. Er schlüpfte zurück in seine Rolle und spähte ringsum in die Dunkelheit.
    Richard atmete tief ein, und ich roch den Wald. Er konnte mühelos meilenweit rennen, weil das Land ihn trug, ihm Kraft gab, ihn willkommen hieß.
    Er stand mitten im Wald, die Füße fest und sicher auf den Boden gestemmt. Ich begriff, dass Richard mein Boden war, seine Freude, sein Herz, das von dem freudigen Lauf schneller schlug, war meine Mitte. Ich hielt meine Verbindung zu ihm offen und nahm die Gerüche und Geräusche in mich auf. Ich legte meine Handflächen auf das Grab und spürte Requiem an meinem Rücken, und dennoch war beides nicht so real wie das Pochen in Richards Brust, das meilenweit weg war.
    »Edwin Alonzo Herman, mit Willen, Worten und Fleisch rufe ich dich aus dem Grab. Komm! Komm heraus!« Der Spruch war verkehrt, ganz anders als sonst, und trotzdem wirksam.
    Der Tote nahm Gestalt an und brach aus der Erde hervor, als tauchte er aus dem Wasser. Das hatte ich schon unzählige Male gesehen, aber noch nie auf dem Boden gekniet, wenn es passierte. Das Erdreich wellte sich wie bei einem Erdbeben, bewegte sich, als wäre es lebendig. Ich weiß

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