Schwarzer, Alice
was dennoch geschieht, doch die Ausbrecherin
bietet die Stirn. Sie lernt und lernt und lernt. Und sie erkennt, dass es ein
Leben gibt außerhalb von Angst, Sexualfeindlichkeit und Unterwerfung. Europa
kommt ihr vor wie ein Paradies. Ein Paradies für Frauen.
Doch dieses - sehr relative und immer wieder neu gefährdete
- Paradies haben auch wir uns hart erkämpft. Das Europa vor der Aufklärung und
der Frauenbewegung war einst so dunkel wie die Länder, aus denen die
freiheitsdurstige Ayaan floh. Und gerade für uns Frauen ist das alles noch gar
nicht so lange her.
So konnte ein Ehemann in Deutschland noch bis 1976 die
Stelle seiner berufstätigen Frau kündigen, ohne deren Wissen und mit der
Begründung: Meine Frau macht ihren Haushalt nicht ordentlich - dieses Gesetz wurde
erst unter dem Druck der Neuen Frauenbewegung abgeschafft. Und bis 1996 galt
Vergewaltigung in der Ehe juristisch nicht etwa als Verbrechen, sondern als Herrenrecht
- dieses Gesetz konnte nach zwanzig Jahren vergeblicher Debatte nur dank eines
Schulterschlusses der weiblichen Abgeordneten aller Parteien eingeführt werden.
Und bis heute heißt das, was wir aus türkisch/arabischen
Kreisen als >Ehrenmord< kennen, bei uns verschleiernd >Familiendrama<.
Als würde das Grauen vom Himmel fallen und gäbe es keine Täter, wenn Ehemänner
Frau und Kinder umbringen, weil die Frau sie verlassen will. Es sei der Tod von
Frauen, die sich trennen wollen, oder Kindern, deren Vater im Beruf scheitert,
unvermeidliches Schicksal - und nicht Mord.
Es gibt also keinen Grund zum Hochmut für Nichtmuslime.
Aber es gibt Grund zur Hoffnung: Verhältnisse sind änderbar! Man muss es nur
wollen. Und es gibt einen Unterschied: Das Christentum predigt die
Minderwertigkeit von Frauen oder Juden heute nicht mehr im Namen Gottes. Und
wir Europäer sind stolz auf die Trennung von Religion und Staat. Stolz auf die
Meinungsfreiheit und Pressefreiheit. Stolz auf unser Grundgesetz!
Auch Ayaan Hirsi Ali war sehr bald nicht länger bereit,
zweierlei Maß für Frauen und Männer oder Muslime und Christen zu akzeptieren.
Und sie will auch von ihren eigenen Leuten nicht länger die ewige
Entschuldigung hören: Die anderen sind schuld, und sie selbst sind nur Opfer,
Opfer des westlichen Rassismus. Sie fordert von nun an Selbstkritik - auch von
sich und den Ihren.
Wie nötig die ist, lernt die Wahl-Holländerin nicht nur
als Studentin der Politischen Wissenschaften an der Universität Leiden. Sie
lernt es auch als Übersetzerin für Somali, wo sie erlebt, wie die Verhältnisse
aus ihrer Heimat mitten in Europa tradiert werden: mit gewalttätigen Männern
und unmündigen Frauen.
Ayaan Hirsi Ali benennt das Ausmaß der Gewalt gegen Frauen
und Kinder. Sie benennt die Entmündigung durch den Glauben. Sie benennt die
Abhängigkeit von Familie und Clan. Und: Sie legt sich an mit den westlichen
Kulturrelativisten.
Mit diesen pseudofortschrittlichen Westlern, die ihr zweierlei
Maß für die eigenen Leute und die fremden Migrantinnen als >Toleranz<
verbrämen. Sie findet das menschenverachtend - und wird von ihnen als
»Rassistin« diffamiert. Denn der offizielle, fortschrittliche westliche
Standpunkt erlaubt keine Kritik an »anderen Kulturen«, »anderen Sitten« und
»anderen Religionen«. Die »Anderen« sollen die Anderen bleiben. Damit wir weiterhin
die Einen bleiben? Die, die das Gesetz machen.
Ich weiß, wovon Ayaan Hirsi redet. Als ich 1979 nach
meiner Reise in Khomeinis iranischen Gottesstaat in Deutschland warnte vor
dem, was sich da zusammenbraute, da wurde ich prompt als »Rassistin« geschmäht.
Und EMMA war ein Vierteljahrhundert lang eine einsame Stimme im
deutschsprachigen Raum, die über die erstarkenden Kreuzzüge der Islamisten
berichtete: von Iran und Ägypten über Pakistan und Afghanistan nach Tschetschenien
und Algerien - bis mitten nach Europa.
Allein in Algerien starben in den 1990er-Jahren, in den
»schwarzen Jahren«, wie die Algerier sagen, über 100.000 Menschen in dem von
den Islamisten angezettelten Bürgerkrieg. Und wir, der Westen? Wir haben
weggeguckt. Wir haben die Menschen allein gelassen, sie diesen Fanatikern und
Mörderbanden schutzlos ausgeliefert. Und ihnen hier auch noch politisches Asyl
gewährt.
Es hat lange gedauert, bis Europa aufgewacht ist. Und
Deutschland, das zwanzig Jahre lang als die »Europäische Drehscheibe« des
islamischen Terrorismus galt, wachte nicht zufällig zuletzt auf. Denn gerade
die Deutschen wollen um keinen Preis mehr
Weitere Kostenlose Bücher