Schwarzer Engel
Kopf herumgeht, wenn’s Sommer ist? Ich denke daran, daß bald Herbst sein wird und die buntesten und hübschesten Sommervögel alle fortfliegen werden. Nur die dunkelsten und mausgrauen bleiben hier. Ich hasse es, wenn die Tage kürzer werden. Während der langen Winternächte kann ich nicht gut schlafen. Irgendwie scheint die Kälte durch die Mauern und in meine Knochen zu kriechen. Ich drehe und wälze mich herum und gerate immer wieder in Alpträume. In der Winterzeit träume ich zu viel. Der Sommer ist die Zeit für angenehme Träume. Sogar wenn du hier direkt neben mir bist, erscheinst du mir wie ein Traum.«
»Troy…« protestierte ich und drehte mich zu ihm.
»Nein, bitte gestatte mir zu sprechen. Ich habe selten jemanden, der mir so aufmerksam zuhört wie du, und ich möchte, daß du besser über mich Bescheid weißt. Wirst du mir zuhören?«
Über den ernsten Ton in seiner Stimme erschreckt, nickte ich.
»Die Winternächte dauern für mich zu lange. Sie lassen mir zuviel Raum zum Träumen. Ich versuche, den Schlaf bis zum Morgengrauen fernzuhalten, und manchmal habe ich Erfolg.
Wenn nicht, werde ich so unruhig, daß ich aufstehen und mich anziehen muß. Dann gehe ich im Freien spazieren, lasse meine düsteren Gedanken von der frischen, kalten Luft fortwaschen.
Ich folge den Pfaden zwischen den Pinien, und erst wenn mein Kopf wieder klar ist, komme ich hierher zurück. Bei der Arbeit kann ich die nächste Nacht und die Alpträume, die mich verfolgen, vergessen.«
Ich konnte ihn nur noch anstarren. »Kein Wunder, daß du im letzten Winter Schatten unter den Augen hattest«, bemerkte ich gequält, weil er gerade jetzt so melancholisch sein konnte.
Jetzt hatte er doch mich. »Ich dachte immer, du seist arbeitswütig.«
Troy rollte sich zur Seite, schaute ins Feuer und streckte den Arm nach einer Flasche Champagner aus, die er zum Kühlen in einen silbernen Kübel gestellt hatte. Er goß die sprudelnde Flüssigkeit in zwei Kristallkelche. »Die letzte Flasche vom Besten«, meinte er, drehte sich wieder zu mir und hob sein Glas so hoch, daß es meines leicht streifte.
Im vergangenen Winter hatte ich mich an Champagner gewöhnt, da er so oft bei Jillians Einladungen gereicht wurde, aber ich war immer noch Kind genug, um mich bereits nach einem Glas beschwipst zu fühlen. Nachdenklich nippte ich an meinem Champagner und wunderte mich, warum seine Augen weiterhin meinen Blick mieden. »Was meinst du mit der letzten Flasche? Du hast doch einen Weinkeller unterm Haus mit genug Champagner fürs nächste halbe Jahrhundert.«
»Ganz literarisch«, antwortete er. »Ich habe es poetisch gemeint. Der Versuch, dir zu erzählen, daß Winter und Kälte die morbide Seite zum Vorschein bringen, die ich meistens vor dir zu verheimlichen suche. Mir liegt zu viel an dir, ich möchte nicht, daß du dich zu intensiv in unsere Beziehung verwickelst ohne zu begreifen, wer und was ich bin.«
»Ich weiß, wer und was du bist!«
»Nein, das tust du nicht. Du kennst nur das, was ich dir zu sehen gestattet habe.« Seine dunklen Augen drehten sich zu mir und befahlen, keine Fragen zu stellen. »Hör zu, Heaven, ich versuche dich zu einem Zeitpunkt zu warnen, an dem du dich noch zurückziehen kannst.«
Ich öffnete die Lippen zum Antworten, bereit zum Widerspruch, aber er legte mir seine Finger auf die Lippen, um mich verstummen zu lassen.
»Warum glaubst du wohl, hat Tony dir befohlen, mich zu meiden? Für mich ist es sehr schwierig, auf der fröhlichen, optimistischen Seite zu bleiben, die nur gedeiht, wenn die Tage länger werden und die Wärme zurückkommt.«
»Wir können immer in den Süden ziehen!« rief ich heftig und haßte seine ernsthafte Art, den verdüsterten Ausdruck seiner Augen.
»Ich habe das schon versucht, habe Winter in Florida, Neapel, Italien verbracht. Ich bin durch die ganze Welt gereist und versuchte zu finden, was anderen so leicht gelingt, aber ich trage meine winterlichen Gedanken in mir.« Er lächelte, aber mir war nicht wohl dabei. Es war kein Scherz, obwohl er leichthin zu reden versuchte. Hinter seinen Pupillen lauerte die Dunkelheit, tief wie ein bodenloser Abgrund.
»Aber der Frühling kommt doch immer wieder, gefolgt vom Sommer«, antwortete ich rasch, »so wenigstens habe ich’s mir immer vorgesagt, wenn wir froren und hungerten und der Schnee anderthalb Meter hoch lag, und Winnerow sieben Meilen weg war.«
Seine weichen, warmen Augen liebkosten mich und trieben mir die Wärme ins
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