Schwarzer Engel
ihnen nach, bis der leichte Regen verdampft war, die Sonne wieder strahlend heiß schien und sich ein Regenbogen über den Himmel spannte. Erst dann ging ich langsam auf mein eigenes Auto zu, das immer noch wartete. Noch nicht, noch nicht, ertönte irgendeine leise Stimme warnend in mir. Später kannst du auf sie Ansprüche haben. Trotzdem wies ich meinen Fahrer an, dem dunkelblauen Cadillac vor uns zu folgen, denn ich wollte unbedingt das Haus sehen, in dem die Familie Rawlings lebte. Nach einer zehnminütigen Fahrt bog der Cadillac vor uns in eine stille Straße, die von Bäumen gesäumt war, und kam dann in einer langen, gebogenen Auffahrt zum Stehen.
»Halten sie an der Straße gegenüber«, befahl ich meinem Fahrer in dem Glauben, der dunkle Schatten und die vielen dicken Baumstämme würden die Limousine verstecken, falls sich die Familie Rawlings zufälligerweise umsehen würde, ob ihnen jemand folgte. Offensichtlich taten sie’s nicht.
Sie besaßen ein hübsches Haus im Kolonialstil, groß, aber nicht so riesig wie Farthinggale Manor. Die roten Ziegelsteine waren schon alt und zum Teil mit Efeu überwachsen, die Rasenfläche war groß und gut gepflegt, mit Blumen und Sträuchern in vollster Sommerblüte. Ach, im Vergleich zu der hoch am Berghang klebenden Hütte war das tatsächlich ein Palast. Es gab keinen Grund, warum mir das Herz schwer wurde. Hier hatten sie es besser, auf alle Fälle, unbedingt. Sie brauchten mich nicht, jetzt nicht. Vor langer Zeit schon hatten sie aufgehört, meinen Namen auszusprechen, sicherlich hatten sie auch keine schlechten Träume mehr. Ach, diese nächtlichen Schreie vor Hunger, die ich vom ebenerdigen Strohsack der zwei Kinder immer gehört hatte! Einmal hatte ich gedacht, sie gehörten mir.
»Hevlee, Hevlee, wo gehst’n hin?« hatten sie gefragt, nachdem ihre eigene Mutter sie im Stich gelassen hatte. Ihre umschatteten Augen flehten mich an, sie nicht zu verlassen.
»Möchten Sie jetzt ins Hotel zurückfahren, Miss?« fragte mein Fahrer, nachdem eine halbe Stunde vergangen war. Aber ich konnte mich einfach nicht losreißen.
Kurzentschlossen öffnete ich die Tür und betrat den Gehsteig.
»Warten Sie hier auf mich, ich bin in ein paar Minuten zurück.« Ich brachte es nicht fertig, wegzufahren, ohne mehr zu sehen, ohne mehr zu wissen. Nicht nach all den Schmerzen, die ich seit dem grauenvollen Tag, an dem Pa seine beiden Jüngsten verkaufte, aushalten mußte.
Verstohlen schlich ich in den Garten an der Seite, wo ein buntes, häufig benutztes Klettergerüst auf die Kinder zu warten schien. Leise stahl ich mich in einen großzügigen, gepflasterten Innenhof, wo sich Stühle und ein Tisch mit einem hübsch gestreiften Sonnenschirm ganz nah an einen nierenförmigen Swimmingpool drängten. Weil ich mich so nahe an der Hauswand aufhielt, befand ich mich gerade unter der Brüstung von vielen rückwärtigen Fenstern. Mein Warten lohnte sich, denn bald drangen Kinderstimmen durch das offene Fenster eines Zimmers. Der schöne Raum war von Sonnenlicht durchflutet, weich gepolsterte Sessel und ein Sofa waren mit hübsch geblümten Chintzkissen bedeckt. Von der Decke hingen Zimmerpflanzen, und auf dem Boden lagen dicke, meergrüne Teppiche. Auf dem größten Teppich saßen Keith und Unsere-Jane bei einem Spiel mit Glasmurmeln.
Beide Kinder hatten ihre Kleidung für die Kirche mit bequemerer getauscht. Sie bewegten sich vorsichtig, da sie offensichtlich versuchten, sich für die kommende Party hübsch und sauber zu halten.
Ich konnte den Blick nicht abwenden. Es war ganz deutlich zu spüren, daß auf ihre Kleidung sehr viel Sorgfalt verwendet worden war.
Als ich endlich meine Augen von ihnen lösen konnte, um auch die Zimmereinrichtung zur Kenntnis zu nehmen, entdeckte ich einen langen Tisch mit einem kleinen Computer.
Daneben stand ein weiterer Tisch mit einem Drucker. In einer der Ecken lehnte eine Malerstaffelei, ein Tischchen und eine Palette. Ich wußte, für wen die Staffelei gedacht war – für Keith, der das künstlerische Talent seines Großvaters geerbt hatte! Plötzlich tauchten zu meinem Entsetzen hinter der unteren Glasreihe direkt vor mir zwei kleine Pfoten und das freundliche Gesicht eines kleines Hundes auf. Aufgebracht wedelte er mit dem Schwanz, als er mich da so auf Händen und Knien liegen sah, wie ich fast meine Nase gegen die Scheibe preßte. Er winselte und sperrte mehrmals die Schnauze jaulend auf – und die Kinder, von denen ich nicht angenommen
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