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Schwarzer Engel

Schwarzer Engel

Titel: Schwarzer Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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ob sie’s wußten, fingen Löwen und Tiger an, die zottigen Schädel zu schütteln, bleckten lange, scharfe, gelbliche Zähne. Sie schnüffelten und nagten an Knochen, zermalmten sie knirschend und krallten sich in das blutige, rohe Fleisch, das der Junge mit der Gabel durch die Gitterstäbe schob. Aus ihren Kehlen ertönten tiefe, gurgelnde Laute, die ich als vergnüglich deuten mußte.
    O mein Gott! Lieber Gott! Es war mein eigener Bruder Tom, der behutsam das Fleisch in die Nähe der wilden Pranken warf, die es näher heranzogen, ehe die Zähne zu mahlen anfingen.
    »Tom«, rief ich beim Vorwärtslaufen, »ich bin’s! Heavenly!«
    Und für einen Augenblick war ich wieder ein Kind aus den Bergen. Die teure Kleidung, die ich trug, verwandelte sich in schäbiges, ausgetragenes, formloses Zeug, das vom häufigen Waschen mit Schmierseife auf einem metallenen Waschbrett grau geworden war. Ich war barfuß und hungrig, als sich Tom langsam zu mir umdrehte und seine tiefgrünen Augen aufriß, bis sie vor Freude blitzten.
    »Heavenly! Bist’s ja, echt du? Kamst, mich zu sehen, endlich, bist den ganzen Weg gefahren!«
    Wie immer, wenn er sich freute, vergaß Tom seine gute Sprache und fiel wieder in den Provinzdialekt. »Was’n toller Supertag! ’s ist endlich passiert! Hab’ so für gebetet!« Er ließ die große Schüssel, die jetzt ohne Fleisch war, sinken und die Gabel fallen und breitete seine Arme aus.
    »Thomas Luke Casteel«, rief ich, »du weißt es doch Besser, als deine Abkürzungen es immer so undeutlich ausdrückten.
    Haben denn Miss Deale und ich unsere Zeit verschwendet, um dir ordentliche Grammatik beizubringen?« Dann stürzte ich mich in seine Arme, schlang meine um seinen Nacken und klammerte mich fest an den Bruder, der vier Monate jünger war. Und die lange Zeit, die seit unserem letzten Treffen vergangen war, schien ausgelöscht.
    »Jesus, Maria und Joseph«, flüsterte er mit rauher Stimme, tief bewegt, »schilt und korrigiert mich wie in alten Tagen.« Er hielt mich eine Armlänge von sich und starrte mich ehrfürchtig bewundernd an. »Ich dacht’ nie, du könntest noch hübscher werden, aber jetzt bist du mehr als das!« Sein Blick wanderte über meine teure Kleidung, hielt inne, um die Golduhr, die lackierten Fingernägel, die Zweihundert-Dollar-Schuhe und die Zwölfhundert-Dollar-Handtasche in Augenschein zu nehmen, dann sah er mir wieder direkt ins Gesicht. Mit einem langen Pfiff atmete er aus. »Irre! Du schaust wie eins von den unwirklichen Mädchen auf Illustriertentiteln aus.«
    »Ich sagte dir doch, ich würde kommen. Wieso wirkst du so erstaunt, daß ich da bin?«
    »Wahrscheinlich hielt ich es für zu schön, um wahr zu sein«, war seine ziemlich seltsame Antwort, »und vermutlich wollte ich andererseits nicht, daß du kommst, um zu verderben, was Pa so mühsam aufzubauen versucht. Er ist eben nur ein Mann ohne Schule, Bildung, Heavenly, der sein Bestes versucht, um seine Familie zu erhalten. Ich weiß ja, daß das, was er tut, für jemanden wie du jetzt bist, nicht viel ist, aber es war schon immer Pas großes Ziel, beim Zirkusleben mitzumachen.«
    Ich wollte nicht über Pa sprechen. Ich konnte nicht glauben, daß Tom Pas Partei ergriffen hatte. Nun, es sah ganz so aus, als ob sich Tom mehr um Pa sorgte, als um mich. Aber ich wollte Tom nicht gehen lassen, wollte nicht, daß er mir entfremdet wurde.
    »Du siehst… siehst, nun ja, größer, kräftiger aus«, antwortete ich und vermied es, zu sagen, er sähe Pa noch mehr ähnlich.
    Denn er wußte ja, wie ich Pas hübsches Gesicht haßte. Alles Magere war aus Toms Körper verschwunden, wie auch die tiefen, dunklen Schatten unter seinen Augen. Er wirkte gut ernährt, glücklich und zufrieden. Das konnte ich ohne Frage feststellen.
    »Tom, ich komme gerade von einem Besuch bei Pas neuer Frau und seinem Kind. Sie nannte mir den Weg zu diesem Ort.
    Warum hast du mir denn nichts gesagt?« Wieder warf ich einen Blick auf das Gelände, wo sich Zelte mit feststehenden Gebäuden mischten. »Was treibt denn Pa hier eigentlich?«
    Er strahlte übers ganze Gesicht, seine Augen glänzten stolz:
    »Er ist der Animateur, Heavenly. Und ein ganz großartiger! Er macht seinen Job ganz toll, wenn er die Vorstellung so ankündigt, daß die Zuschauer angelockt werden. Du siehst, wie’s hier tagsüber öde aussieht. Aber bleib einmal bis heut’
    abend. Dann tauchen aus fünfhundert Meilen im Umkreis Zuschauer auf und rücken ihr Geld raus, um die Tiere

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