Schwarzer Kuss Der Nacht
erklärte Mai.
»Ach so, ja. Ich neige dazu, mich ein bisschen wie eineGlucke zu verhalten«, entschuldigte Jenna sich und lächelte unsicher. »Sarah und ich haben vor einigen Jahren unsere Eltern verloren, seither haben wir nur noch uns. Aber Sarah hat recht: Willkommen im Haus! Wie du ja bereits geraten hast, bin ich Jenna.«
»Freut mich. Ich bin Mai, Mai Groves.«
»Die Journalistin?«, fragte Jenna mit großen Augen. »Hast du nicht in der
New York Voice
geschrieben? Ich habe deinen Artikel über die Vampirklubs gelesen. Er war wirklich interessant und erstaunlich detailliert. Gut geschrieben.«
Schmeicheleien wirken immer
, dachte Mai, die trotzdem feststellte, dass sie Jenna sympathisch fand. »Sarah und ich haben gerade über ihre Schulpläne geredet.«
»Apropos«, sagte Sarah, die auf ihre Uhr sah, »ich sollte mich lieber wieder ans Büffeln machen.« Sie wandte sich zu Mai. »War nett, dich kennenzulernen! Hoffentlich sieht man sich mal.«
Mai lächelte. »Ja, das wäre schön.«
Jenna stimmte ihrer Schwester zu, und beide gingen. Nachdem sie weg waren, blickte Mai zu den Kartons, die darauf warteten, ausgepackt zu werden. Aufschieben war eine Fertigkeit, die Übung erforderte, ging ihr durch den Kopf. Also ignorierte sie die Kartons und setzte sich an ihren Schreibtisch, wo sie den Laptop einschaltete. Das Auspacken konnte warten.
Während ihr Computer hochfuhr, dachte sie an ihre Halluzination zurück. Vier Tage waren inzwischen vergangen, aber immer noch fühlte sie sich befremdlich real an.
Mai klickte sich ins Internet und bei Yahoo ein. Dort gab sie »Halluzinationen« in die Suchmaske ein. Es gab diverse medizinische Websites zu Halluzinationen als Symptom bei unterschiedlichen psychischen Störungen. »Ja, dasweiß ich schon«, murmelte Mai, ging zu Wikipedia und las die Definition des Wortes. Bei der Formulierung »verwandte Traumphänomene« fragte sie sich, ob sie vielleicht eine Art Wachtraum erlebt hatte. Möglich wäre es. Sie hatte in letzter Zeit viel gearbeitet und wenig Schlaf bekommen.
Neugierig recherchierte sie als Nächstes »Träume«, dann »Alpträume«. Hier fand sie einen Artikel über Los Paseantes de Espíritu: Leute, die in die Träume anderer eindringen konnten, um ihnen zu helfen, ihre Alpträume loszuwerden.
Der Autor des Artikels beschrieb seine eigenen Erfahrungen mit einem »Geistwanderer« und erzählte, wie Nicolas Blackhawk, ein Schamane, ihm geholfen hatte, sich seinen inneren Dämonen zu stellen und sie zu besiegen.
Nicolas Blackhawk.
Der Name kam Mai bekannt vor, und sie versuchte, sich zu erinnern, wo sie ihn schon einmal gelesen hatte. Dann fiel es ihr wieder ein: Er hatte in der Zeitung gestanden.
Sie lief in die Küche, nahm sich den obersten Karton und öffnete ihn. Vorsichtig, aber schnell holte sie jeden einzelnen Teller heraus, wickelte ihn aus und stellte ihn auf den Tresen, um die Zeitungsseiten zu überfliegen, in die sie eingewickelt waren.
Etwa auf der Hälfte des dritten Kartons fand sie die richtige Seite. Hastig las sie den Artikel. Nick Blackhawk von Blackhawk Securities hatte ein Attentat auf den Abgeordneten Gentry vereitelt. In dem Beitrag stand nichts darüber, dass Nick Blackhawk ein Schamane oder ein Geistwanderer war, weshalb Mai unsicher wurde, ob es sich um denselben Nick Blackhawk handelte.
Sie setzte sich wieder an ihren Laptop und suchte nach Nick Blackhawk. Diesmal entdeckte sie einen anderthalb Jahre alten Beitrag über Nick Blackhawk, der zwei vermissteTeenager auf einem Friedhof aufgespürt hatte, wo Dämonen ein todesmagisches Ritual zu Ehren des uralten Dämons abhielten, den Mai zu vernichten half. Um die Teenager zu finden, musste Nick ins Geisterreich eindringen.
Bingo!
, dachte Mai. Nur ein Geistwanderer gelangte ins Geisterreich, also musste das der Nick Blackhawk sein, der auch ein Schamane war. Vielleicht konnte er ihr helfen, etwas gegen ihre inneren Dämonen zu tun, die ihre Halluzinationen verursachten. Sie rief die Website der Sicherheitsfirma auf und sah, dass sie in New York City saß. Es war nach neun Uhr morgens, also sollte jemand im Büro sein.
Eine junge Frau meldete sich, die sehr professionell klang. »Blackhawk Securities, guten Morgen.«
»Guten Morgen. Kann ich bitte Mr. Blackhawk sprechen?«
»Tut mir leid, Mr. Blackhawk ist nicht im Haus. Kann ich etwas notieren?«
Enttäuscht improvisierte Mai. »Mein Name ist Mai Groves. Ich bin Journalistin und würde gern einen Artikel über Mr.
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