Schwarzer Kuss Der Nacht
leise vor sich hin, war jedoch ernst, als er fragte: »Machen dir die Wunden noch zu schaffen?«
Wenn’s bloß so einfach wäre!,
dachte Nick. Dank seiner magischen Natur waren die Wunden so gut wie verheilt, und die ganze Geschichte verblasste in seiner Erinnerung. »Ich habe letzte Nacht schlecht geschlafen«, gestand er, weil Dave gewiss eine Antwort erwartete. »Alpträume.« Genau genommenwaren es Superträume gewesen – erotische. Aber nicht die Art Träume, die er gewöhnlich hatte, wenn er schlief. Womit sich die Frage aufdrängte: Hatte er sich unabsichtlich in jemandes anderen Traum gedrängt? Zwar war es für Geistwanderer möglich, sich in Träumen anderer zu bewegen, doch es zählte gewiss nicht zu Nicks Gewohnheiten, sich in anderer Leute Privatsphäre zu schmuggeln, vor allem nicht von Leuten, die er nicht einmal kannte.
»Willst du frühstücken?«, fragte Dave. »Ich wollte gerade ein paar Eier in die Pfanne hauen.«
Nick bejahte stumm und hockte sich an den Küchentisch. Sie wohnten bei seinem Vater auf dem Los-Paseantes-Gelände. Seit über hundert Jahren lebte Nicks Familie hier. Die wenigsten aus jeder Generation entschieden sich für ein Leben außerhalb. Dave und Nick verbrachten zwei Drittel ihrer Zeit hier und das verbleibende Drittel in New York City, wo Nick im Sicherheitsgeschäft tätig war.
Nick ließ sich den Kaffee die Speiseröhre hinunterbrennen und dachte an seinen letzten Job.
Stan Gentry war wieder in Washington, D. C., und die Zeitungen riefen Nick als Helden aus, obwohl es für Nick nichts weiter als Arbeitsalltag gewesen war.
»Wie ich höre, sind Grindal und seine Leute zurück«, begann Dave mit kaum verhohlenem Interesse.
Nick schüttelte den Kopf. »Du lässt dich viel zu leicht ablenken.«
»Wieso? Weil ich die Gesellschaft einer Dame genieße?«, erwiderte Dave grinsend.
Nick lachte. »Als würdest du eine Dame erkennen!«
»Vielleicht nicht«, gestand Dave freimütig, »aber ich erkenne eine Waldnymphe, wenn ich zwischen ihren Beinen liege. Und lass dir eines gesagt sein: Es geht nichts über denSex mit einer Waldnymphe. Solltest du einmal ausprobieren. Die ganze Arbeit macht dich noch zum Greis. Soll ich dir etwas sagen? Komm nächstes Mal mit, wenn ich zum Zigeunerlager hinausfahre. Grindal gibt dir eines von seinen heißesten Mädchen.«
»Bist du sicher, dass du nicht selbst halb Waldnymph bist? Ich würde schwören, dass dir nichts anderes als Sex im Hirn rumgeistert!«
»Das reicht!«, sagte Nicks Vater, der in die Küche kam und ihr Gespräch unterbrach. »Wir haben andere Probleme als Grindal mit seiner Horde von Waldnymphen. Die Lampson Corporation will zehn Überlebenstrainingkurse für ihre Führungskräfte buchen. Und hier in der Anlage sind viele Familien, die Geld brauchen. Ein Geschäft wie das heißt, dass wir mehr Fremdenführer einstellen können. Also, je eher wir die Sache wasserdicht machen, umso besser. Das einzige Problem ist, dass ich hierbleiben muss, weil Don Halfacre einen Schamanen braucht.«
Don hatte Nick schon als Jungen gelehrt, wie man einer Wildfährte durch den Wald folgte. Daher fiel es Nick immer noch schwer, sich vorzustellen, dass ein so starker Mann alt und gebrechlich wurde. Aber natürlich hatte er den Ältesten erst tags zuvor besucht, und »alt« und »gebrechlich« waren nicht die Adjektive, mit denen er ihn beschreiben würde. »Was stimmt nicht mit Don?«, wollte Nick daher wissen.
Sein Vater warf ihm einen Blick zu. »Du weißt, dass ich dir das nicht sagen darf – es sei denn, du fragst als der neue Schamane.«
Nick spürte, wie die Blicke von seinem Vater und Dave auf ihm lasteten. Sein Vater versuchte bereits seit einiger Zeit, ihn zur Übernahme zu bewegen, aber Nick hatte nicht das geringste Interesse daran, sich sein gesamtes Leben vonden Bedürfnissen seines Volkes diktieren zu lassen. Er hatte gesehen, was das einer Familie zufügen konnte. Ja, er hatte es in seiner eigenen hautnah erlebt. »Du bleibst, ich gehe.«
Das Gesicht seines Vaters fiel ein wenig ein, bevor er nickte. »In Ordnung.«
»Ich komme mit«, bot Dave an. Nick wusste, dass Dave vor allem darauf zählte, seinen Spaß zu bekommen, aber das machte nichts. Vielleicht war Dave genau richtig. Was Nick brauchte, war ein bisschen mehr Spaß und ein bisschen weniger Arbeit. Wäre echter Sex nicht am Ende gesünder als Traumsex?
Es war mitten am Vormittag, als Mai eine Arbeitspause einlegte.
Sie machte sich Frühstück und stand an
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