Schwarzer Kuss Der Nacht
langer, langer Zeit fühlte sie sich nicht ganz allein. »Trink du. Mir geht es gut.« Als sie ihm das Glas zurückgab, war ihre Hand wieder ruhig. Was für Schmerzen er hatte, erkannte sie spätestens jetzt, denn statt ihr abermals zu widersprechen, nahm er es und trank.
Fasziniert sah sie, wie sein Adamsapfel sich auf und ab bewegte. Wie ein verliebter Teenager schalt sie sich im Stillen und zwang sich, wegzusehen. »Gibt es einen bestimmten Trick?«, fragte sie und nahm die Pinzette auf. »Ich meine, außer dass ich herumgrabe, bis ich die Kugel finde, und sie herausziehe?«
»Weniger Herumgraben und mehr Herausziehen wäre wünschenswert, aber, ja, ungefähr so wird’s gemacht.«
Seine Stimme klang erschöpft, und Mai musterte ihn besorgt. Ihr fiel auf, wie bleich seine Haut war, und als sie eine Hand auf seinen Arm legte, fühlte er sich klamm an. »Vielleicht legst du dich lieber hin. Du siehst nicht besonders gut aus.«
»Mir wird es wieder glänzend gehen, wenn ich das Blei in meinem Körper los bin.« Er schaute sich um. »Hier ist nichtgenug Platz. Wie wäre es mit der Küche? Ich kann mich auf den Fußboden legen.«
»Sei nicht albern!« Sie ging voraus in ihr Schlafzimmer, und er folgte ihr, wobei er das Handtuch an seiner Hüfte festhielt. Mai zog die Tagesdecke von ihrem Bett, weil sie nicht unbedingt Blutflecken abbekommen sollte. Bei den Laken war es ihr gleich.
»Hier hast du es bequemer, und keiner von uns muss auf dem Boden herumkriechen.«
Er lächelte matt. »Ich wünschte, ich hätte früher gewusst, dass es so leicht ist, in dein Bett zu kommen. Dann hätte ich schon vor Tagen auf mich schießen lassen.«
Mai ignorierte seinen Scherz und wartete, bis er sich bäuchlings auf das Bett gelegt hatte.
»Wie es aussieht, wurde vor nicht allzu langer Zeit erst auf dich geschossen.« Sachte berührte sie die beiden rundlichen Narben, wo die Haut noch neu und rosig war – eine an seiner Seite, die andere nahe seinem Schulterblatt.
»Wie ich bereits sagte: Das ist das Jobrisiko. Die habe ich bei meinem letzten Fall abbekommen.«
Mai stellte die Lampe neben ihrem Bett so hin, dass sie auf seinen Rücken schien, damit sie besser sehen konnte. »Wann war das?«
»Letzte Woche.«
Unglaublich! So frische Wunden müssten noch roh und übel sein. »Heilst du so schnell?«
»Schnell genug, dass wir die Kugeln nicht mehr viel länger drinnen lassen sollten, sonst musst du durch neue Haut schneiden, um sie herauszuholen.«
»Okay, okay, ich bin schon dabei!« Sie nahm das Peroxid und goss es in die Wunden. Sofort blubberte es, und Nick holte hörbar Atem. »Entschuldige! Tat das weh?«
»Mai! Ganz egal, was du jetzt machst, es wird alles weh tun. Also bring es einfach hinter uns, ja?«
»Okay, los geht’s!« Sie atmete tief durch, führte die Pinzette in die erste rissige Wunde und versuchte, nicht an den Rändern zu kratzen, während sie nach der Kugel tastete.
»Weißt du«, begann Nick, dessen Stimme von dem Kissen gedämpft wurde. »Ich hatte Angst, dir zu sagen, was ich bin, weil ich dachte, dass es dich aufregt. Aber du scheinst damit gut fertig zu werden.«
»Ach so, klar. Ich hatte schon das Vergnügen mit einigen Bodyguards. Damit habe ich kein Problem.«
»Wie niedlich!«
Sie hörte das Lächeln in seiner Stimme. »Wenn du es genau wissen willst, meine beste Freundin ist eine Werwölfin«, fuhr sie fort und suchte unterdessen weiter nach der Kugel. »Und ich habe letztes Jahr einige Zeit mit einem Typen verbracht, der sich in einen Drachen verwandeln kann. Also, Gestaltwandler jagen mir keine Angst ein.«
»Ich bin kein Gestaltwandler.«
»Bist du nicht?«, fragte sie verwirrt. »Und was bist du dann?«
»Ich bin ein Chamäleon.«
»Ich glaub’s nicht!« Mai hatte von ihnen gehört, war jedoch noch nie einem begegnet. »Na ja, wie jedes beliebige Lebewesen aussehen zu können, muss praktisch sein.«
»Das hängt von den jeweiligen Umständen ab«, entgegnete er trocken. »Übrigens, beim nächsten Mal, wenn wir in so eine Situation geraten, solltest du verschwinden.«
»Ich dachte, das hätten wir auch gemacht, als wir aus dem Park gerannt sind.«
»Ich meine nicht Wegrennen. Ich meine Teleportieren.« Mai war froh, dass er mit dem Rücken zu ihr lag, denn sokonnte er nicht sehen, wie peinlich es ihr war. »Ich könnte das nicht.«
»Hör zu, ich finde es nett, dass du mich nicht verlassen wolltest, aber nächstes Mal …«
»Nein, ich meine es ernst. Ich könnte es,
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