Schwarzer Kuss Der Nacht
nämlich wirklich schade, wenn du mittendrin vor Schmerz ohnmächtig wirst, weil ich dich mit der Pinzette ersteche.«
Ihre Wut galt mehr ihr selbst als ihm, denn sie hatte ja eben dasselbe gedacht.
Immerhin war er still und blieb es, bis sie die zweite Kugel gefunden und entfernt hatte.
»Sie sind beide draußen!«, verkündete sie, als sie fertig war. »Ich muss die Wunden jetzt reinigen, bevor ich sie verbinde.«
»Tu das«, stöhnte er in das Kissen.
Sie goss wieder Peroxid auf beide Wunden und beobachtete, wie es blubberte. Sobald die Bläschen verschwanden, wiederholte sie das Ganze. Anschließend tupfte sie beide Stellen trocken.
In ihrem Bad bewahrte sie antibiotische Salben und Verbände auf. Sie legte das Buch mit der Leselampe auf den Nachttisch und eilte ins Bad. Kurz darauf waren die Wunden sauber, eingecremt und verbunden. Zufrieden mit ihrer Arbeit begutachtete Mai sie für einen Moment und stellte fest, dass die Verbände auf Nicks glatter sonnengebräunter Haut sehr weiß wirkten.
Immer noch rührte er sich nicht, und so gönnte sie sich die Zeit, um seine breiten Schultern zu bewundern. Der Rest von seinem Rücken war genauso breit und muskulös und ging in eine Taille über, die schmal, aber nicht zu dünn war. Natürlich hatte sie ähnlich gutaussehende Männer in Vampirbars gesehen.
In diesem Augenblick rollte Nick sich auf die Seite, und sie revidierte den Gedanken sofort. Nein, sie glaubte nicht, dass sie jemals einen Mann gesehen hatte, den sie so schön fand.
Ihr Blick verharrte auf seiner Brust. Er war verlockend, und sie fragte sich, was sie alles mit diesem Mann tun könnte.
»Mach ein Foto, dann hast du länger etwas davon.« Als sie Nicks erschöpfte Stimme vernahm, sah sie erschrocken in sein Gesicht. Er lächelte matt.
Hoffentlich sah er nicht, dass sie rot wurde. »Ich dachte, du schläfst.«
»Muss ich wohl, denn solche wunderschönen Engel sehe ich nur im Schlaf«, erwiderte er. »Danke.«
»Ich sollte dir danken. Du hast mir das Leben gerettet.«
»War mir ein Vergnügen.« Er versuchte, sich aufzusetzen.
»Was machst du denn?«, fragte Mai und sprang auf, um ihn auf das Bett zurückzudrücken. Besonders schwierig war es nicht – geschwächt, wie er war.
»Ich gehe lieber und lasse dich allein.«
»Das glaube ich nicht«, widersprach sie streng und versuchte, nicht darauf zu achten, dass ihm das Handtuch herunterrutschte. »Außerdem erregst du eine Menge Aufmerksamkeit, wenn du so gehst. Du hast überhaupt nichts anzuziehen.«
»Apropos«, hakte er ein, »sieh mal in die Taschen der Jeans, die ich anhatte. Der Typ, den du treffen wolltest, hatte etwas in der Hand, ein Blatt Papier. Das konnte ich mir schnappen, bevor du aufgetaucht bist.«
Vielleicht war es eine Kopie der Informationen, die Lenny ihr vorher gegeben hatte. Falls ja, würde sie dafür sorgen, dass Lennys Tod nicht umsonst gewesen war.
»Danke, ich sehe nach. Kann ich dir irgendetwas bringen?«
»Nein.« Seine Stimme wurde matter. »Ich ruhe mich hier bloß kurz …«
Noch bevor er den Satz zu Ende gesprochen hatte, war er eingeschlafen.
Mai wandte sich ab und ging ins Bad. Die Sachen, die Nick getragen hatte, lagen in einem Haufen auf dem Boden. Sie suchte die Jeans heraus und alle Taschen ab, bis sie das erwähnte Papier fand. Dann ließ sie die Hose wieder auf den Boden fallen und faltete das Blatt auseinander.
Sogleich überkam sie eine tiefe Zufriedenheit. Lenny war gestorben, weil er ihr diese Liste mit Daten und Namen übergeben wollte. Diesmal durfte damit nichts geschehen. Sie nahm das Blatt mit in die Küche, legte es auf den Tresen und fotografierte es mehrmals mit ihrer Handykamera. Als sie die Bilder überprüfte, war alles gut genug lesbar. Die Dateien schickte sie per E-Mail an ihren PC. Jetzt war gleich, was mit der Liste passierte, denn sie besaß ausreichend Kopien.
Sie faltete das Blatt wieder zusammen und steckte es mit ihrem Handy zusammen in ihre Handtasche. Anschließend holte sie sich eine Mülltüte aus der Küche, ging ins Bad zurück und warf alle Sachen weg, ehe sie sauber machte.
Danach sah sie nach Nick, der friedlich zu schlafen schien. Sie sorgte sich allerdings, dass er zu kalt werden könnte, deshalb zog sie die Bettdecke über ihn. Wie seltsam, dass er in ihrem Bett lag!
Als sie auf die Uhr sah, stellte sie fest, dass es schon spät war. Sie fühlte sich also mit Fug und Recht müde und schmutzig. Nachdem sie ein letztes Mal zu Nick gesehen hatte, kehrte
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