Schwarzer Kuss Der Nacht
13
Onein!« Mai rannte zu Jenna hinüber, die regungslos in den Spiegelscherben lag. Hunderte winziger Glassplitter hatten sich in ihre Haut gegraben. Jenna war voller Blut, doch keine der Wunden wirkte tief genug, als dass sie erklären konnte, warum Jenna nicht reagierte.
Vorsichtig fühlte Mai an Jennas Hals nach ihrem Puls und war maßlos erleichtert, als sie ein Pochen entdeckte. »Sie lebt! Wir müssen einen Krankenwagen rufen.«
Nick lief zu Jennas Telefon und erledigte den Anruf, während Mai behutsam Jennas Hand hielt. »Keine Angst, Jenna! Gleich kommt Hilfe, dann wird alles wieder gut.« Zwar hatte Mai keine Ahnung, ob sie die Wahrheit sagte, aber falls Jenna sie hören konnte, musste sie daran glauben.
»Der Krankenwagen ist auf dem Weg«, erklärte Nick einen Moment später, kam zu Mai und hockte sich neben sie.
»Was zum Geier ist hier los?« Will sah entgeistert die Überreste des Spiegels an. Mai ignorierte ihn und beobachtete Nick, der nun das Wohnzimmer abschritt.
»Keine Spuren von einem Eindringling«, erwähnte er, als er wieder bei ihr war.
Er legte ihr eine Hand auf die Schulter und drückte sie tröstend. Dann drehte er sich zu Will um. »Können Sie unten auf den Krankenwagen warten und den Leuten zeigen, wo sie hinmüssen?«
Benommen blickte Will zu Nick und bejahte stumm. Nachdem er abermals sorgenvoll zu dem Spiegel geschaut hatte, verschwand er.
»Was, glaubst du, ist hier passiert?«, fragte Mai, sobald Will außer Hörweite war.
»Weiß ich nicht. Wir müssen warten, bis sie zu sich kommt und es uns erzählen kann.«
Mai hatte das Gefühl, dass eine halbe Ewigkeit verging, ehe der Krankenwagen eintraf, wohingegen die nächsten paar Stunden gleichsam im Flug vorbeirauschten. Sie war mit Nick hinter dem Krankenwagen her zur Klinik gefahren, wo sie so viele Fragen beantworteten, wie sie konnten. Anschließend hatten sie eine Stunde im Wartezimmer gesessen, bevor sie mit einem Arzt reden konnten. Es war ein kurzes Gespräch.
»Wir wissen nicht, was mit ihr los ist«, gestand der Arzt. »Sie hat Schnittverletzungen, die offenbar von dem Spiegel stammen, aber ansonsten ist ihr Zustand stabil. Keine Hinweise auf ein Schädeltrauma oder Ähnliches. Warum sie nicht bei Bewusstsein ist, können wir nicht erklären. Wir machen noch einige Tests und müssen abwarten, was wir finden. Mir ist klar, dass Sie keine Angehörigen sind, aber können Sie mir vielleicht irgendetwas über Miss Renfield sagen, das uns hilft? Ist sie eine Gestaltwandlerin, eine Waldnymphe oder Hexe? Könnte ihr Zustand von einem Zauber herrühren?«
Mai sah Nick an und schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht.«
»Ist schon okay«, sagte der Arzt. »Ich lasse sie von einem Magiespezialisten untersuchen, um sicherzugehen. Nach allem, was Sie über ihre Schwester erzählten, würde michallerdings nicht wundern, wenn es ein psychisches Problem ist. Sie könnte sich einfach in sich zurückgezogen haben, weil sie mit dem Verlust nicht fertig wird. Wir tun alles, was wir können. Sie sollten jetzt erst einmal nach Hause gehen. Ich rufe Sie an, falls ihr Zustand sich verändert. Lassen Sie einfach Ihre Telefonnummer am Empfang notieren.«
Mai und Nick blieben noch eine Weile im Wartezimmer, falls Jenna doch aufwachte. Am späten Nachmittag schließlich mussten sie erkennen, dass sie gar nichts tun konnten.
»Hey, bist du okay?«, erkundigte Nick sich, als sie zusammen in einem Taxi saßen.
»Die beiden tun mir so furchtbar leid. Erst Sarah, jetzt Jenna!« Das alles war schrecklich frustrierend. Mai konnte nicht einmal ihre eigenen Probleme lösen, wie wollte sie jemand anders helfen?
»Ich weiß«, sagte Nick, während das Taxi um eine Kurve fuhr. Mai sah hinaus und bemerkte, dass sie nicht auf dem Weg zu ihr waren.
»Wo fahren wir hin?«
»Zu mir. Und ehe du voreilige Schlüsse ziehst: Wir fahren nur hin, weil ich mich gern umziehen würde.«
Als der Wagen hielt, bezahlten sie und stiegen aus. Mai blickte verwundert auf das Haus vor ihnen. »Hier wohnst du?«
Das war eindeutig ein Luxusapartmenthaus.
»Überrascht?«
»Und ob!« So, wie er sie ansah, war ihre Reaktion leicht misszuverstehen. »Ich meine, ich hatte es einfach nicht erwartet.«
Nick nahm ihre Hand, und prompt spürte sie ein wohliges Kribbeln. Drinnen schaute Mai sich in der edlen Eingangshalleum. Der Fußboden sah wie Marmor aus, nicht wie gewöhnliche Fliesen, und die Wände waren in einem hübschen Muster gestrichen statt schlicht
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