Schwarzer Mittwoch
Gehaltsliste.« Er runzelte die Stirn. »Kann ich kurz unter vier Augen mit dir sprechen?«
Frieda blickte sich nach Chloë um.
»Was ist?« Chloës Stimme klang schrill und abweisend.
»Ich muss dir gleich etwas sagen«, erklärte Frieda. »Es hat mit dem Vater von Ted und Judith zu tun. Aber vorher gehen Karlsson und ich ein paar Minuten raus. In Ordnung?«
»Nein! Das ist nicht in Ordnung! Das sind meine Freunde, und ich habe ein Recht …«
»Chloë!« Friedas ruhiger, warnender Ton brachte ihre Nichte zum Schweigen. Sie warf eine Jacke über und verließ das Haus.
»Hast du etwas dagegen, wenn wir ein paar Schritte gehen?«
»Das bin ich inzwischen schon gewöhnt«, antwortete Karlsson.
Frieda führte ihn aus der Kopfsteinpflastergasse, die von ehemaligen Stallungen gesäumt wurde, und bog nach rechts ab. Als sie die Tottenham Court Road erreichten, blieb sie einen Moment stehen und beobachtete, wie die Busse und Autos an ihnen vorbeibrausten.
»Hast du gewusst«, fragte Frieda, »dass das Risiko, an Schizophrenie zu erkranken, um das Fünf- bis Sechsfache ansteigt, wenn man aus einer ländlichen Gegend in eine Großstadt wie London zieht?«
»Warum?«, fragte Karlsson.
»Das weiß kein Mensch. Aber sieh dich hier um. Mir erscheint das durchaus plausibel. Wenn wir die Großstädte abschaffen und wieder zum Landleben zurückkehren würden, könnten wir die Auftretenshäufigkeit der Krankheit auf einen Schlag um ein Drittel reduzieren.«
»Das klingt ein bisschen drastisch.«
Frieda bog nach Süden ab und entschied sich dann für eine kleine, ruhige Straße, die zurück in die Richtung führte, aus der sie gekommen waren.
»Ich habe dich heute vermisst«, bemerkte Karlsson.
»Aber wir haben uns doch gesehen. Hast du das Gespräch mit Hal Bradshaw und deinem Polizeipräsidenten vergessen?«
»Ach das«, meinte Karlsson mit einer wegwerfenden Bewegung, »das war doch nur eine Farce. Nein, als Lennox sein Geständnis ablegte, habe ich einmal wirklich den Kopf umgewandt, weil ich dachte, du stehst da irgendwo und verfolgst alles mit deinem prüfenden Blick.«
»Aber ich war nicht da, und wie es aussieht, hast du es auch ohne mich recht gut hinbekommen. Also, was ist passiert?«
Während sie in Richtung Westen gingen, berichtete Karlsson kurz über die Ereignisse des Tages.
»Wird er jetzt wegen Totschlags angeklagt?«
»Wahrscheinlich. Ich stelle es mir in etwa so vor: Er hört von der Beziehung und stellt den Kerl zur Rede. Die Affekthandlung eines Vaters. Eine Jury hätte da vermutlich Verständnis.«
»Ich nehme an, es spielt keine große Rolle«, sagte Frieda, »aber er hat es nicht erst kurz vorher erfahren. Laut Dora wusste er es schon eine Weile.«
Karlsson überlegte.
»Wirklich? Da hat er aber etwas anderes gesagt. Ich glaube, ich will das gar nicht wissen. Aber wahrscheinlich macht es tatsächlich keinen großen Unterschied. Er bleibt trotzdem ein wütender Vater, und das Verhaltensmuster bleibt auch dasselbe: Ein Streit eskaliert in Gewalt. Daran ändert sich nichts.«
Frieda blieb einen Moment stehen.
»Stimmt«, sagte sie dann, »daran ändert sich nichts.«
»So, wie du das sagst, klingt es irgendwie verdächtig.«
»Nein, ich habe doch nur deine Worte wiederholt.«
»Wir wissen, dass Lennox zur Gewalttätigkeit neigt. Denk an Paul Kerrigan und auch an diesen Hehler, der das Diebesgut verkauft hat. Da liegt es doch nahe, dass er bei dem Kerl, der sich seine Tochter geschnappt hat, erst recht ausgerastet ist.«
Frieda blieb erneut stehen. Das Licht der Straße fiel auf ihr Gesicht, das schmal und traurig wirkte.
»Die armen Kinder«, sagte sie leise. »Nun müssen sie zu dieser schrecklichen Tante.«
»Ja.«
»Und was ist mit dem Mord an ihrer Mutter?«
Karlsson zuckte mit den Achseln.
»Ich werde Lennox noch einmal in die Mangel nehmen«, meinte er. »Alles deutet auf ihn hin. Aber das Ganze ist so verworren. Rund um die Affäre gab es so viel Wut und Kummer, so viele Leute, die Bescheid wussten oder Bescheid gewusst haben könnten. Das Geheimnis der beiden war doch keines mehr, auch wenn sie sich einbildeten, vorsichtig zu sein.«
»Erzähl mir mehr.«
»Die Kerrigan-Jungs wussten Bescheid«, erklärte Karlsson. »Wie sich herausgestellt hat, wurde Ruth Lennox – diese fröhliche, liebe Frau – ein bisschen wütend, als sie erfuhr, dass Paul Kerrigan sie verlassen wollte, und schickte den Söhnen anonym einen bitterbösen Brief.«
»Oh«, meinte Frieda, »das
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