Schwarzer Mittwoch
täuschte sie sich.
Die Nachricht begann mit einer Art nervösem Hüsteln.
»Ähm, Frieda, ich bin’s, Jim. Als Erstes möchte ich mich mal wegen gestern entschuldigen. Ich hätte Ihnen für alles danken sollen, was Sie getan haben. Mir ist klar, dass ich ein bisschen verrückt rübergekommen bin – verrückt und besessen. Wie auch immer, jedenfalls habe ich gesagt, ich würde Sie auf dem Laufenden halten, auch wenn Sie das wahrscheinlich gar nicht wollen. Ich befinde mich noch in London. Ich bin alles noch einmal durchgegangen – die Akten zu den Mädchen. Mir ist da eine Idee gekommen. Wir waren bei denen auf einem Auge blind. Wir haben den Motor nicht gehört. Ich werde mir das noch einmal ansehen. Danach schaue ich kurz bei Ihnen vorbei und berichte. So gegen zwei. Lassen Sie es mich wissen, falls Ihnen das zeitlich nicht passt. Entschuldigen Sie, dass ich so lange schwafle. Bis dann.«
Frieda wünschte fast, sie hätte die Nachricht nicht gehört. Sie hatte das Gefühl, von Neuem in die Geschichte hineingezogen zu werden. Es war klar, dass Fearby nie klein begeben würde. Genau wie die Leute, die von den Freimaurern oder der Ermordung Kennedys besessen waren, würde er niemals klein beigeben und sich durch nichts von seinem Wahn abbringen lassen. Sie war versucht, ihn zurückzurufen und ihm zu sagen, dass er nicht zu kommen brauche. Doch dann dachte sie: Nein, sie würde sich ein letztes Mal anhören, was er zu sagen hatte, und ihm auf vernünftige Weise antworten. Damit wäre der Fall für sie dann endgültig erledigt.
Den Tag erlebte sie ähnlich diffus wie die Nacht zuvor. Sie spielte mit dem Gedanken, ein Buch zu lesen, wusste aber schon vorher, dass es ihr nicht gelingen würde, sich zu konzentrieren. Früher hätte sie sich in einer solchen Stimmung in ihr Arbeitszimmer verzogen und irgendetwas Einfaches gezeichnet, ein Glas Wasser oder eine Kerze, doch selbst dazu fühlte sie sich nicht in der Lage. Sie hatte nicht einmal Lust, ein bisschen durch die Stadt zu bummeln. Die vielen Leute, die tagsüber unterwegs waren, und auch der Verkehrslärm schreckten sie ab. Sie beschloss, das Haus zu putzen. Etwas anderes fiel ihr nicht ein. Zumindest brauchte sie dabei nicht zu denken. Sie nahm der Reihe nach sämtliche Gegenstände, die in den Regalen standen, herunter, und wischte sie ab. Sie putzte die Fenster. Sie reinigte die Böden. Sie polierte die Arbeitsflächen. Je länger sie sauber machte, desto mehr bekam sie das tröstliche Gefühl, dass niemand außer ihr in dem Haus lebte oder jemals gelebt hatte.
Immer wieder klingelte das Telefon, aber sie ging nicht ran. Sie wusste selbst nicht so recht, ob die Zeit langsam oder schnell vergangen war, aber als sie irgendwann auf die Uhr blickte, stellte sie fest, dass es fünf vor zwei war. Sie ließ sich in einen Sessel sinken und wartete. Es würde keinen Kaffee geben und auch keinen Whisky. Er sollte sagen, was er zu sagen hatte, und sich ihre Antwort anhören. Dann konnte er wieder gehen, und sie würde morgen Thelma Scott aufsuchen und endlich anfangen, das alles zu verarbeiten.
Eine Minute nach zwei. Nichts. Sie ging sogar vor die Tür und hielt nach ihm Ausschau. Als ob das helfen würde. Sie setzte sich wieder. Zehn nach zwei. Noch immer kein Fearby. Viertel nach. Nichts. Um zwanzig nach rief sie ihn an und wurde sofort an seine Mailbox weitergeleitet.
»Ich wollte nur fragen, wo Sie bleiben. Ich möchte bald weg – na ja, so bald auch wieder nicht. Bis halb fünf bin ich noch da.«
Sie überlegte, ob er vielleicht einer der Anrufer war, die es im Lauf des Tages bei ihr versucht hatten. Sie griff nach dem Telefon: vierzehn Anrufe in Abwesenheit. Es waren die üblichen Verdächtigen: Reuben, Josef, Sasha, jemand, der eventuell einen Patienten zu ihr schicken wollte, Paz, Karlsson. Und Yvette. Sie fragte ihre Mailbox ab. Nichts. Während der nächsten halben Stunde ging sie dreimal ans Telefon. Beim ersten Anruf handelte es sich um irgendeine dubiose Umfrage, der zweite Anrufer war Reuben, der dritte Karlsson. Frieda sagte jedes Mal, sie könne gerade nicht sprechen. Als es schließlich drei wurde, begann sie sich ernsthaft Gedanken zu machen. Hatte sie sich die Uhrzeit falsch gemerkt? Sie hatte Fearbys Nachricht sofort nach dem Abhören gelöscht. Konnte es sein, dass sie ihn nicht richtig verstanden hatte? Sie war zurzeit ja weiß Gott nicht besonders klar um Kopf. Hatte er wirklich zwei Uhr gesagt? Ja, da war sie sich sicher. Er hatte sogar
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