Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarzer Mittwoch

Schwarzer Mittwoch

Titel: Schwarzer Mittwoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
Vom Netzwerk:
Leuten, die alle denselben Mord gestehen, und wir werden wieder nicht wissen, wer es war.«
    Mit diesen Worten ging er.
    Frieda zog Plastikhandschuhe an, nahm das große Zahnrad heraus und platzierte es auf einem Tisch in der Mitte des Raums. Das Ding sah aus, als gehörte es eigentlich in ein riesiges Uhrwerk, aber bei den Lennox’ hatte es als eine Art Skulptur auf dem Kaminsims gestanden.
    Sie schlug Teds Kunstmappe auf der Seite auf, die mit dem Datum Mittwoch, sechster April, versehen war, und legte sie ebenfalls auf den Tisch. Dann ließ sie den Blick zwischen Zahnrad und Zeichnung hin- und herwandern, bis ihr alles vor den Augen zu verschwimmen begann. Sie trat einen Schritt zurück und umrundete den Tisch, so dass sie das Zahnrad von allen Seiten betrachten konnte. Sie ging in die Hocke und spähte von unten zu dem Ding hinauf. Ganz vorsichtig neigte sie es etwas zur Seite und drehte es dann langsam, bis es aus ihrem Blickwinkel immer flacher wirkte.
    Schließlich hatte sie es: Aus einem bestimmten Winkel – etwas geneigt und in die richtige Position gedreht – sah der wuchtige Gegenstand aus wie ein gerader Streifen mit Zackenrand. Der gleiche Streifen mit Zackenrand befand sich auch unter den Gegenständen, die Ted am Mittwoch, dem sechsten April, morgens im Rahmen seiner Kunstprüfung gezeichnet hatte.
    Friedas Miene versteinerte. Schließlich stieß sie einen kleinen Seufzer aus, legte das Zahnrad zurück in das Fach, schloss die Schublade, zog die Handschuhe aus und verließ den Raum.

57
    L ouise Weller lebte mit ihrer Familie in Clapham Junction. Ihr schmales rotes Ziegelreihenhaus stand ein kleines Stück zurückgesetzt von einer langen, geraden Straße, die von Platanen gesäumt wurde und durch Bremsschwellen verkehrsberuhigt war. Hinter dem Erkerfenster im Erdgeschoss hingen Spitzenvorhänge, so dass niemand hineinspähen konnte. Die Haustür war dunkelblau, mit einem mittig angebrachten Messingtürklopfer. Nachdem Frieda ihn dreimal betätigt hatte, trat sie einen Schritt zurück. Das Frühlingswetter war wieder etwas kühler geworden. Sie spürte ein paar Regentropfen auf ihrer heißen Haut.
    Die Tür ging auf. Vor ihr stand Louise Weller, das Baby an die Brust gedrückt. Frieda warf über ihre Schulter hinweg einen Blick in die dunkle, saubere Diele. Es roch nach trocknender Wäsche und Putzmitteln. Frieda dachte an den kranken Ehemann, von dem Karlsson ihr erzählt hatte, und stellte sich vor, dass er in einem der oberen Räume lag und zuhörte, was unten gesprochen wurde.
    »Ja? Ach, Sie sind es. Was wollen Sie denn hier?«
    »Kann ich bitte reinkommen?«
    »Das ist kein günstiger Zeitpunkt. Ich wollte gerade Benjy füttern.«
    »Ich bin nicht Ihretwegen hier.«
    »Die Kinder sollten nicht dauernd gestört werden. Sie brauchen jetzt Stabilität und ein bisschen Ruhe.«
    »Es dauert nur einen Moment«, entgegnete Frieda höflich und trat an Louise vorbei in die Diele. »Sind sie alle da?«
    »Wo sollten sie denn sonst sein? Es ist natürlich ein bisschen eng.«
    »Nein, ich meine, im Moment.«
    »Ja. Aber ich möchte nicht, dass die drei sich aufregen.«
    »Ich würde gern mit Ted sprechen.«
    »Mit Ted? Warum? Ich weiß nicht so recht, ob das jetzt passt.«
    »Ich fasse mich kurz.«
    Louise Weller starrte sie an und zuckte dann mit den Schultern.
    »Ich hole ihn«, erklärte sie steif, »falls er Sie überhaupt sehen will. Nehmen Sie doch inzwischen im Wohnzimmer Platz.«
    Sie öffnete die Tür neben ihnen, und Frieda trat in den Raum mit dem Erkerfenster, wo es für ihren Geschmack viel zu warm war und zu viele kleine Tische und Stühle mit gerader Rückenlehne herumstanden. Neben dem Heizkörper parkte ein Puppenwagen, in dem eine flachsblonde, blauäugige Puppe saß. Frieda bekam in dem Zimmer kaum Luft.
    »Frieda?«
    »Dora!«
    Das Mädchen sah schrecklich aus. Ihr bleiches Gesicht wirkte fast grünlich, und an einem Mundwinkel hatte sie ein Fieberbläschen. Ihr Haar war nicht wie üblich zu Zöpfen geflochten, sondern umrahmte schlaff ihr Gesicht. Sie trug eine altmodische weiße Bluse. Frieda fand, dass sie wie eine Gestalt aus einem viktorianischen Melodram aussah: ein bemitleidenswertes, zu Tode betrübtes Waisenkind.
    »Bist du gekommen, um uns von hier wegzubringen?«, fragte Dora sie.
    »Nein. Ich bin hier, um mit Ted zu sprechen.«
    »Können wir bitte mit zu dir?«
    »Das geht leider nicht.« Frieda zögerte. Beim Anblick von Doras dünner Gestalt und ihrem bedrückten Gesicht

Weitere Kostenlose Bücher