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Schwarzer Mond: Roman

Schwarzer Mond: Roman

Titel: Schwarzer Mond: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Magen drohte zu rebellieren. Je länger sie Zeit hatte, darüber nachzudenken, was sie ihm in der Bibliothek angetan hatte, desto stärker kam ihr die Bestialität ihrer Handlungsweise zu Bewusstsein, und sie war erschüttert über ihre Fähigkeit zur Brutalität. Sie dachte auch an das, was sie ihm noch anzutun beabsichtigte. Vor ihrem geistigen Auge sah sie überdeutlich, wie die scharfe Klinge des Metzgermessers tief in seinen Körper eindrang, und sie erschauerte unwillkürlich vor Ekel. Sie war keine Mörderin. Sie war zum Heilen bestimmt, nicht nur durch ihre Ausbildung, sondern von ihrem ganzen Wesen her. Sie versuchte, nicht daran zu denken, dass sie den Mann erstechen wollte. Es war gefährlich, zu lange darüber nachzudenken, gefährlich und verwirrend und nervenaufreibend.
    Wo war er nur? Sie konnte nicht länger warten, weil sie befürchtete, dass die erzwungene Inaktivität ihre animalische Wildheit und Grausamkeit völlig zunichte machen würde, die sie brauchte, wenn sie überleben wollte. Sie hatte die unbehagliche Gewissheit, dass jede Sekunde seinen Vorteil vergrößerte, und deshalb schob sie sich geräuschlos an die Schwelle heran und legte eine Hand auf die Türklinke. Plötzlich schoss ihr jedoch der furchterregende Gedanke durch den Kopf, dass er nur wenige Zentimeter entfernt auf der anderen Seite der Tür darauf lauern könnte, dass sie den ersten Zug machte.
    Ginger zögerte, lauschte mit angehaltenem Atem.
    Stille.
    Sie legte ihr Ohr an die Tür, konnte aber immer noch nichts hören.
    Der Messinggriff fühlte sich in ihrer schweißnassen Hand schlüpfrig an.
    Schließlich zog sie die Tür behutsam einen Zentimeter weit nach innen auf. Kein Schuss. Sie spähte mit einem Auge durch den schmalen Spalt. Der Killer war nicht, wie sie befürchtet hatte, in unmittelbarer Nähe, sondern am anderen Ende des langen Flures; mit der Pistole in der Hand betrat er gerade wieder die Wohnung. Offensichtlich hatte er sie als erstes am Lift und im Treppenhaus gesucht. Nachdem er sie dort nicht gefunden hatte, war er zurückgekehrt, überzeugt davon, dass sie sich noch irgendwo in der Wohnung aufhalten musste. Er verriegelte die Eingangstür und legte die Sicherheitskette vor, um ihre eventuelle Flucht auf diesem Wege zu verzögern.
    Er hielt seine verletzte rechte Hand an die Bisswunde am Hals, und sogar auf diese Entfernung konnte Ginger seinen pfeifenden Atem hören. Aber es war ihm anzusehen, dass er nicht mehr in Panik war, dass er allmählich Zuversicht schöpfte, wider Erwarten zu überleben.
    Er spähte nach links ins Wohnzimmer und nach rechts ins Schlafzimmer. Dann blickte er geradeaus durch den langen, halbdunklen Flur, und Gingers Herzschlag setzte für kurze Zeit fast aus, denn es kam ihr so vor, als starrte er sie direkt an. Aber er war zu weit entfernt, um sehen zu können, dass die Tür einen Zentimeter aufgehalten wurde. Anstatt auf die Küche zuzugehen, begab er sich ins Schlafzimmer. Seine Bewegungen zeugten jetzt von entmutigend zielbewusstem Vorgehen.
    Sie schloss leise den Türspalt und musste sich eingestehen, dass ihr Plan nicht funktionieren würde. Er war ein mit Gewalt bestens vertrauter Profi, und obwohl ihr unerwartet wilder Angriff ihn zunächst einmal aus dem Gleichgewicht gebracht hatte, fing er sich offensichtlich bereits wieder. Bis er die Wandschränke im Schlafzimmer durchsucht hatte, würde er seine normale Kaltblütigkeit voll zurückgewonnen haben und bestimmt nicht unüberlegt in die Küche stürzen.
    Sie musste aus der Wohnung verschwinden, und zwar so schnell wie möglich.
    Die Eingangstür erreichen zu wollen war hoffnungslos. Er würde sie möglicherweis e schon im Flur stellen.
    Ginger legte das Messer hin. Sie griff unter ihren Pulli, zog ihren zerrissenen BH herunter und ließ ihn auf den Boden fallen. Dann schlich sie um den Küchentisch herum zum Fenster, zog leise die Vorhänge zurück und blickte auf die Feuertreppe hinaus. Lautlos schob sie den Riegel zurück. Unglückseligerweise ließ sich das untere Schiebefenster jedoch nicht lautlos öffnen. Der von der Winterfeuchtigkeit aufgequollene Holzrahmen quietschte und knarrte, bevor er sich überhaupt von der Stelle bewegte, und dann schoss er so plötzlich in die Höhe, dass das Glas laut klirrte, als er oben anstieß. Ginger wusste genau, dass sie den Killer alarmiert hatte. Sie hörte ihn den Flur entlangrennen.
    Sie kletterte hastig aus dem Fenster auf den Absatz der Feuertreppe hinaus und begann mit dem

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