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Schwarzer Mond: Roman

Schwarzer Mond: Roman

Titel: Schwarzer Mond: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Abstieg. Der eisige Wind peitschte ihr ins Gesicht, und sie spürte die Kälte sofort bis auf die Knochen. Die Metallstufen waren mit Eis überkrustet, und an den Geländern hingen Eiszapfen. Trotz der gefährlich glatten Stufen musste sie sich sehr beeilen, wenn sie nicht eine Kugel in den Hinterkopf abbekommen wollte. Sie rutschte mehrmals aus, konnte sich ohne Handschuhe aber auch nicht am Geländer festhalten, denn als sie es anfangs einmal versucht hatte, war ihre Hand an dem eisigen Metall kleben geblieben, und sie hatte die oberste Hautschicht opfern müssen, um sich loszureißen.
    Als sie noch vier Stufen vom nächsten Absatz entfernt war, hörte sie über sich jemanden fluchen und warf einen Blick über die Schulter zurück. Pablos Mörder kletterte gerade aus dem Fenster.
    Ginger wollte die nächste Stufe viel zu hastig nehmen, auf dem vereisten Metall rutschten ihr die Füße weg, sie flog die drei letzten Stufen hinab und landete auf dem Treppenabsatz, wobei sie sich schmerzhaft die rechte Körperseite anschlug.
    Im Heulen und Toben des Windes ging der Schuss aus der Pistole mit Schalldämpfer völlig unter, aber Ginger sah nur wenige Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt Funken von Eisen stieben und begriff, dass der Schütze nur knapp sein Ziel verfehlt hatte. Sie blickte hoch und sah den Killer zielen -und ausrutschen. Er stolperte mehrere Stufen hinab, und sie glaubte schon, dass er gleich auf sie fallen würde, als es ihm beim dritten Versuch endlich gelang, am Geländer Halt zu finden. Er lag auf dem Rücken und klammerte sich mit einer Hand an einer Stufe fest. Ein Bein war zwischen zwei Geländerstäbe geraten. Den anderen Arm hatte er um einen Geländerstab geschlungen - in dieser Hand hielt er die Pistole, und deshalb konnte er auch nicht sofort wieder auf Ginger schießen.
    Sie richtete sich taumelnd auf und wollte so schnell wie nur möglich weiter die Feuertreppe hinablaufen. Aber als sie einen letzten flüchtigen Blick auf den Schützen warf, zogen seine Mantelknöpfe plötzlich ihre Aufmerksamkeit auf sich. Leuchtende Messingknöpfe mit erhabenen aufgerichteten Löwen, wie man sie aus der Heraldik kennt. Bisher waren ihr diese Wappenknöpfe nicht besonders aufgefallen; man sah sie häufig an Sportjacken, Sweatern und Mänteln. Nun aber starrte sie wie hypnotisiert darauf, und alles andere um sie herum verblasste, so als wären nur die Knöpfe real. Nicht einmal der wütend heulende Wind, der in jede Ecke pfiff, vermochte sie zur Besinnung zu bringen.
    Die Knöpfe. Sie konnte ihren Blick nicht von ihnen abwenden, und ein solches Entsetzen bemächtigte sich ihrer, dass dagegen ihre Angst vor dem Schützen fast bedeutungslos wurde.
    »Nein«, murmelte sie in einem sinnlosen Versuch zu leugnen, was ihr widerfuhr.
    Die Knöpfe.
    »O nein!«
    Die Knöpfe.
    Das war wirklich der denkbar schlechteste Zeitpunkt und Ort, um die Kontrolle über sich zu verlieren.
    Die Knöpfe.
    Sie konnte den Anfall nicht aufhalten. Zum erstenmal seit drei Wochen wurde sie wieder von diesem unbeschreiblichen Entsetzen überwältigt. Sie kam sich plötzlich ganz klein und verdammt vor. Ihre unerklärlichen Ängste schleuderten sie in eine sonderbar lichtlose innere Landschaft, durch die sie blindlings rennen musste.
    Sie drehte den Knöpfen den Rücken zu und flüchtete die Feuertreppe hinab, und während totale Finsternis sich über sie breitete, schoss ihr durch den Kopf, dass ihre wilde Flucht bestimmt mit einem gebrochenen Bein oder gar Rückgrat enden würde.
    Und wenn sie erst einmal bewegungsunfähig war, würde der Killer sie einholen, ihr die Pistole an die Schläfe setzen und sie erschießen.
    Finsternis.
    Kalt.
    Als Ginger ihre Umwelt wieder wahrnahm, hockte sie zwischen welken Blättern und Schnee am Fuße einer Kellertreppe hinter einem Stadthaus, das ein ganzes Stück von Pablos Wohnung entfernt war. Ein dumpfer Schmerz pochte in ihrem Rücken. Ihre ganze rechte Seite tat weh. Die aufgerissene linke Handfläche brannte. Am schlimmsten war jedoch die eisige Kälte. Sie saß auf Eis und Schnee und lehnte sich an eine Betonmauer. Der gnadenlose Wind fegte, schnüffelnd und knurrend wie ein Hund, die zehn steilen Stufen hinab.
    Sie wusste nicht, wie lange sie hier schon saß, aber ihr war klar, dass sie sich schnellstens aufraffen musste, wenn sie nicht eine Lungenentzündung riskieren wollte. Sie beschloss jedoch, noch ein paar Minuten abzuwarten, denn der Mörder war vielleicht irgendwo in der Nähe und

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